Die Briten nannten ihn “Garbo”, die Deutschen “Arabel”: Der Spanier Juan Pujol Garcia gab vor, für die Nazis in Großbritannien zu spionieren. In Wahrheit arbeitete er für die Briten. Seine falschen Informationen über eine alliierte Invasion in Europa täuschten die Deutschen, retteten tausende Leben und beschleunigten die Befreiung Europas.
Juan Pujol Garcia wurde im Februar 1912 in Barcelona geboren. Als der Spanische Bürgerkrieg 1936 ausbrach, arbeitete er als Geflügelzüchter. Im Verlauf des Konflikts gehörte er sowohl den Republikanern als auch Francos Nationalisten an. Er entwickelte eine tiefe Abneigung gegen den Faschismus.
1939 begann der Zweite Weltkrieg. Pujol wollte etwas im Kampf gegen den Nationalsozialismus beitragen. Er suchte die britischen Botschaften in Madrid und Lissabon 1941 insgesamt dreimal auf, um seine Dienste als Agent anzubieten. Da er weder Erfahrung noch ein Netzwerk an relevanten Kontakten vorweisen konnte, lehnten die Briten ab.
Doch Pujol gab nicht auf: Er kontaktierte die deutsche Botschaft in Madrid. Dort gab er sich als spanischer Beamter und fanatischer Nazi-Unterstützer aus, der in Großbritannien für Deutschland spionieren wollte.
Nach kurzem Zögern nahmen die Deutschen das Angebot an. Sie machten ihn mit Spionagetechniken vertraut und erteilten ihm einen Auftrag: Er sollte nach London reisen und ein Netzwerk an Informanten aufbauen.
Anstatt nach London zu reisen, ging Pujol jedoch nach Lissabon. Ausgestattet mit einem britischen Reiseführer, Büchern und Zeitungsartikeln schrieb er regelmäßig Berichte. Mit Erfolg: Die Deutschen glaubten in “Arabel”, wie sie ihren spanischen Spion nannten, eine verlässliche und fleißige Quelle in Großbritannien eingeschleust zu haben.
Doch Pujol hielt an seinem eigentlichen Plan fest: Im April 1942 entstand der ersehnte Kontakt zum britischen Geheimdienst. Seine vorgegaukelte Spionagetätigkeit für die Deutschen machte ihn interessant. Der MI6 schickte Pujol nach London. Er bekam seinen britischen Decknamen “Garbo” und wurde einem Führungsoffizier zugeordnet, der Spanisch sprach.
Gemeinsam mit seinem Führungsoffizier erfand Garbo ein Netzwerk aus 27 fiktiven Spionen, die angeblich Informationen für die Nazis sammelten: Insgesamt verfasste er mehr als 300 schriftliche Berichte, viele weitere übermittelte er per Funk.
Garbos Informationen machten ihn zur vermeintlich wichtigsten deutschen Quelle im Ausland, der nahezu alles geglaubt wurde. 1944 ermöglichte das ihm entgegengebrachte Vertrauen seine folgenreichste Täuschung: “Operation Fortitude”.
Anfang 1944 erwarteten die Nazis, die große Teile West- und Mitteleuropas besetzten, eine Invasion der Alliierten. Von Arabel alias Garbo erhofften sie sich, über den Vorbereitungsstand sowie den genauen Ort der Invasion unterrichtet zu werden.
Hitler hielt eine Invasion in Pas-de-Calais – der Küstenabschnitt Nordfrankreichs mit der kürzesten Distanz nach Großbritannien – für am wahrscheinlichsten.
Garbo sollte die Naziführung in ihrer Auffassung bestärken: Er übermittelte mehrere hundert Funkmeldungen mit Informationen über die fiktive, 150.000 Mann umfassende “First US Army Group”, die angeblich eine Invasion in Pas-de-Calais plante. Dies hatte zur Folge, dass die Deutschen zwei Panzerdivisionen und 19 Infanteriedivisionen in Nordfrankreich bereithielten.
In Wahrheit planten die Alliierten jedoch, deutlich weiter westlich, in der Normandie, anzugreifen. Nach monatelangen Vorbereitungen war es soweit: In einer der größten Militäroperationen der Geschichte landeten am Morgen des “D-Days”, am 6. Juni 1944, mehr als 130.000 alliierte Soldaten an den französischen Stränden.
Auch nach der D-Day-Invasion sendete Garbo weiter Meldungen, um die Deutschen zu täuschen: Die Landung in der Normandie sei nur ein Ablenkungsmanöver. Die “First US Army Group” befinde sich weiterhin in England und warte auf einen passenden Moment, um in Pas-de-Calais einzufallen. Der Plan ging auf: Die zurückgehaltenen deutschen Truppen blieben in Pas-de-Calais.
Heute sind sich Historiker einig, dass eine erfolgreiche alliierte Landung in der Normandie ohne Garbos Ablenkungsmanöver erheblich erschwert worden wäre und zu weitaus größeren Verlusten geführt hätte.
Für seine “außergewöhnliche Leistungen” für Nazi-Deutschland wurde Garbo im Juli 1944 auf persönliche Anweisung Hitlers mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet.
1948 täuschte Garbo seinen Tod mithilfe des MI5 vor. Fortan lebte er in Venezuela. Erst 1984, 36 Jahre später, wurde seine Geschichte aufgedeckt. Zum ersten Mal erfuhr seine Familie von seiner Vergangenheit.
Juan Pujol Garcia starb am 10. Oktober 1988 in Caracas.
Weitere Empfehlungen:
Ein weiterer Doppelagent, über den ich geschrieben habe: “Eddie Chapman: Ein Leben zwischen Verbrechen und Verrat” (Zeitsprung, #13)
Eine weitere Geheimdienstoperation, die erheblichen Einfluss auf den Zweiten Weltkrieg hatte: “Operation Mincemeat: Wie ein Leichenfund den Verlauf des Zweiten Weltkriegs beeinflusste” (Zeitsprung, #5)
Mehr im Zusammenhang mit dem Spanischen Bürgerkrieg: “Gerda Taro: Die erste Kriegsfotografin” (Zeitsprung, #15)
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. agentgarbo.com
2. Agent Garbo, MI5
3. The Mystery of Garbo, BBC
Zeitsprung, #28
Danke für die spannende und tolle Kurzgeschichte. Beste ist der aufblasbare Panzer.
Wieder eine hoch interessante Lebensgeschichte eines eher Unbekannten, der die Geschichte bemerkenswert beeinflusst hat.