An diesem Wochenende finden die Endspiele des prestigeträchtigsten Tennisturniers der Welt statt: Wimbledon. Die Finalistinnen und Finalisten sind heutzutage weltbekannte Stars. Eine weniger bekannte Wimbledon-Siegerin ist Althea Gibson. 1957 triumphierte sie erstmals im Einzel auf dem “Heiligen Rasen”. Sie war die erste und für Jahrzehnte die einzige Schwarze Tennisspielerin, der dies gelang.
London im Juli 1957: Auf dem Centre Court von Wimbledon überreicht Queen Elizabeth II. die Siegestrophäe an eine 29-jährige Amerikanerin.
Soeben hat Althea Gibson ihre Gegnerin Darlene Hard mit 6:3 und 6:2 besiegt und damit Geschichte geschrieben: Sie ist die erste Schwarze Wimbledon-Siegerin.
Nur wenige Jahre zuvor wäre die Teilnahme an dem Turnier für eine Schwarze Frau undenkbar gewesen. Nach ihrem Triumph notiert Gibson:
“Der Weg von den mit ‘Colored’ markierten Reihen im Bus bis zur Begegnung mit der Queen in Wimbledon war weit.”
In der letzten Woche gab es bei der Zustellung des Newsletters technische Probleme. Daher nochmals der Link zur letzten Ausgabe für diejenigen von Euch, die sie nicht erhalten haben:
Althea Gibson wurde am 25. August 1927 in South Carolina geboren. Ihre Eltern arbeiteten als Baumwollpflücker, bevor sie nach New York zogen.
Althea wuchs als ältestes von fünf Kindern in Harlem auf. Die Familie lebte in armen Verhältnissen. Altheas Vater war gewalttätig. Um nicht nach Hause gehen zu müssen, fuhr sie mitunter nächtelang mit der U-Bahn durch die Stadt.
Durch Zufall kam Althea zum Tennis: Die Straße, in der sie mit ihrer Familie wohnte, wurde zu einer Spielstraße umgewandelt.
Ein Paddle-Tennisplatz — heute eine wiederentdeckte Trendsportart — wurde vor ihrem Wohnhaus errichtet. Täglich spielte Althea dort.
Ihr außergewöhnliches Talent wurde schnell offensichtlich: Als sie 14 Jahre alt war, besorgte ein Sozialarbeiter ihr einen Tennisschläger. Er brachte Althea zum “Cosmopolitan Tennis Club” in Harlem, wo sie fortan trainieren konnte.
Die Rassentrennung, die das gesellschaftliche Leben in den USA durchzog, betraf auch den Tennissport: Als Schwarze Spielerin durfte Althea nicht gegen weiße Spielerinnen antreten.
1942 gewann sie die New York State-Mädchenmeisterschaften, ausgerichtet von der American Tennis Association (ATA), der Tennisorganisation für Schwarze Menschen.
In den Folgejahren dominierte die athletische, 1,80 Meter große Althea die Turniere der ATA.
Bei den ATA-Damenmeisterschaften 1946 wurden zwei Männer auf Althea aufmerksam: Die Ärzte Hubert Eaton und Walter Johnson erkannten ihr Potenzial und begannen, sie professionell zu fördern.
Trotz erster Erfolge bei Turnieren, an denen zuvor nur weiße Spielerinnen teilnehmen durften, blieb ihr die Teilnahme an den nationalen Meisterschaften, dem Vorläufer der heutigen US Open, verwehrt.
Alice Marble, selbst eine erfolgreiche Tennisspielerin, kritisierte diese Diskriminierung in einem Artikel für ein Tennismagazin scharf:
“Wenn Tennis ein Spiel für Damen und Herren ist, ist es auch an der Zeit, dass wir uns dementsprechend und weniger wie scheinheilige Heuchler verhalten. Wenn Althea Gibson eine Herausforderung für die derzeitigen Spielerinnen darstellt, ist es nur fair, wenn sie sich ihr auf dem Tennisplatz stellen. […] Sie wird nicht nach ihren Fähigkeiten beurteilt, sondern nach der Tatsache, dass sie eine etwas andere Pigmentierung hat.”
Marbles Appell zeigte Wirkung: Ende August 1950 wurde Althea Gibson die erste Schwarze Tennisspielerin, die bei den nationalen Meisterschaften antreten durfte — der Auftakt zu einer außergewöhnlichen Karriere.
Fortan nahm sie an Turnieren auf der ganzen Welt teil. 1956 gewann Gibson ihren ersten Grand Slam-Titel: Bei den French Open war sie sowohl im Einzel, als auch im Doppel mit ihrer Partnerin Angela Buxton erfolgreich — der endgültige Durchbruch an die Tennis-Weltspitze.
Insgesamt gewann Althea Gibson zwischen 1956 und 1958 elf Grand Slam-Titel, fünf im Einzel und sechs im Doppel.
Nach ihrem ersten Wimbledon-Titel im Einzel 1957 wurde sie in New York als erste Schwarze Sportlerin mit einer Konfettiparade gefeiert.
Bis Ende der 1960er Jahre, dem Beginn der “Open Era”, war die Teilnahme an Grand Slam-Turnieren sowie anderen großen Turniere ausschließlich Amateuren vorbehalten. Für einen Titelgewinn erhielt man zwar eine Trophäe, jedoch kein Preisgeld.
Gibson sagte später dazu:
“Die Wahrheit ist, um es ganz offen zu sagen, dass meine finanziellen Verhältnisse schlimm waren. Die Tenniskönigin zu sein, ist schön und gut, aber eine Krone kann man nicht essen.”
Aus diesem Grund gab sie 1958 nach 56 Titeln ihr Karriereende als Amateur-Tennisspielerin bekannt. In der Folge verdiente sie mit einigen Schauwettkämpfen etwas Geld, bevor sie endgültig mit dem Tennis aufhörte.
Sie schlug eine weitere sportliche Laufbahn ein: Anfang der 60er Jahre wurde Gibson auch im Golf die erste Schwarze Spielerin, die an großen Turnieren teilnahm.
Außerdem wagte sie einen Exkurs in die Unterhaltungsindustrie: Sie spielte eine Nebenrolle in einem Spielfilm, nahm als Jazzsängerin eine Schallplatte auf und arbeitete als Sportkommentatorin im Fernsehen.
Die Geschichte einer weiteren Ausnahmesportlerin:
Es dauerte mehr als 40 Jahre nach Althea Gibsons erstem Grand Slam-Erfolg, bis eine weitere Schwarze Spielerin ein Grand Slam-Turnier gewann: Serena Williams triumphierte 1999 bei den US Open.
Williams, eine der erfolgreichsten Tennisspielerinnen aller Zeiten, sagte über Gibson:
“Sie war eine der wichtigsten, wahrscheinlich für mich sogar die wichtigste Pionierin des Tennis. Sie war Schwarz, sie sah aus wie ich und sie hat so viele Türen geöffnet für alle Spielerinnen, die nach ihr kamen.”
Doch die Pionierin, die eine Autobiografie veröffentlichte, geriet in Vergessenheit. Sie lebte in Armut und erlitt mehrere Schlaganfälle.
Am 28. September 2003 starb Althea Gibson im Alter von 76 Jahren.
2019 wurde auf dem Gelände der US Open in New York eine Bronzestatue von Althea Gibson errichtet.
Bis bald!
Euer Leo
Lust auf noch mehr Tennisthemen? Die ehemalige deutsche Top 10-Spielerin Andrea Petkovic schreibt den Tennis-Newsletter “Finite Jest”.
Die wichtigsten Quellen:
1. An Unlikely Champion, New York Times
2. Althea Gibson, BBC
3. Althea Gibson: The pioneering champion America forgot, BBC
Dies ist die 89. Ausgabe von Zeitsprung.
Ach Leo, Du Sonnenschein der Archivare. Wieder so ein schöner, wegweisender Artikel über eine fantastische Person und Tennisspielerin, die allen Widerständen zum Trotz gespielt hat. Danke.
Mal,wieder was tolles Neues gelernt! Danke!