Wilma Rudolph wog nur zwei Kilogramm bei ihrer Geburt. Nachdem sie an Kinderlähmung erkrankte, prognostizierte ihr Arzt, dass sie nie wieder ohne Gehhilfe würde gehen können. Doch Rudolph erholte sich — und wurde mit drei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 1960 zu einem Leichtathletik-Weltstar.
Rom, Olympische Spiele 1960: Am Vorabend des 100-Meter-Laufs der Frauen bereitet sich Wilma Rudolph mit Dehnübungen und Trainingsläufen auf den Finallauf vor. Dabei übersieht sie ein Loch im Boden der Übungsbahn. Sie knickt um und verstaucht sich den Knöchel.
Doch auf ihre Teilnahme am Finallauf zu verzichten, ist ausgeschlossen. Sie beißt die Zähne zusammen, geht an den Start — und gewinnt Gold. Und nicht nur das: Zwei weitere Goldmedaillen über 200 Meter und mit der 4x100 Meter-Staffel machen die 20-jährige Wilma Rudolph zur großen Entdeckung von Rom.
Erstmals wurden die Olympischen Spiele im Fernsehen übertragen. Jedoch kaum jemand, der Rudolph zu Gold sprinten sah, ahnte wohl etwas von der Leidensgeschichte, die die von der Presse als “Schwarze Gazelle” beschriebene Amerikanerin hinter sich hatte.
Wilma Rudolph wurde am 23. Juni 1940 in Tennessee geboren. Sie war das 20. von 22 Kindern ihres Vaters Ed Rudolph. Als “Frühchen” wog sie bei ihrer Geburt nur zwei Kilogramm.
Ihre Kindheit war von ihrer fragilen Gesundheit geprägt: Sie hatte eine schwere Lungenentzündung, erkrankte an Scharlach und später an Kinderlähmung. Ihr linkes Bein war dadurch so geschwächt, dass sie nur mit einer Schiene gehen konnte.
Aufgrund der sogenannten “Rassentrennung” in den USA musste Wilmas Mutter mit ihr jahrelang wöchentlich ins 70 Kilometer entfernte Nashville fahren. Dort gab es eine Klinik, die Schwarze Menschen behandelte.
Ihre Prognose war düster, doch Wilma gab die Hoffnung nicht auf:
“Mein Arzt sagte mir, dass ich nie wieder laufen würde. Meine Mutter sagte mir, dass ich es schaffen würde. Ich glaubte meiner Mutter.”
Und Wilma erholte sich tatsächlich: Mit zwölf Jahren konnte sie ohne Laufstütze gehen. Sie begann, Basketball zu spielen. Dabei erkannte Ed Temple, Leichtathletik-Coach an der Tennessee State University, ihr ungeahntes läuferisches Talent.
Es war der Beginn einer beeindruckenden Karriere als Sprinterin: 1956 nahm Wilma mit erst 16 Jahren als jüngstes Mitglied des US-Teams in Melbourne erstmals an Olympischen Spielen teil. Auf Anhieb gewann sie mit der 4x100 Meter-Staffel die Bronzemedaille.
1958 bekam Rudolph ihr erstes von insgesamt vier Kindern. Sie begann, mit einem Stipendium an der Tennessee State University zu studieren. Nebenbei trainierte sie täglich.
Bei den US-Meisterschaften 1960 stellte sie einen Weltrekord auf: Sie lief die Distanz über 200 Meter in 22,9 Sekunden.
Wenige Wochen später gewann Wilma Rudolph in Rom drei Olympische Goldmedaillen. Sie wurde die erste US-Amerikanerin, der dies bei denselben Spielen gelang. In diesem Video sind ihre beiden Einzel-Goldmedaillenläufe zu sehen.
Ihr Triumph machte Rudolph zu einem internationalen Star. Ihre Heimatstadt Clarksville kündigte an, bei ihrer Rückkehr einen “Welcome Wilma Day” zu veranstalten.
Doch die frisch gebackene Olympiasiegerin kündigte an, nur an der geplanten Parade teilzunehmen, sofern auf die Rassentrennung verzichtet werden würde. Schwarze sollten gemeinsam mit Weißen feiern können.
Die Stadtregierung stimmte schließlich zu: Der “Welcome Wilma Day” wurde das erste Großereignis im Bundesstaat Tennessee, bei dem die Rassentrennung aufgehoben wurde.
Zwei Jahre nach ihren großen Erfolgen in Rom gab Wilma Rudolph im Alter von 22 Jahren ihr überraschendes Karriereende bekannt:
“Ich kann meine Leistung nicht übertreffen und deshalb wird man sich an mich erinnern, als ich am besten war.”
1963 schloss sie ihr Studium ab. Sie arbeitete als Grundschullehrerin und Leichtathletiktrainerin. Zudem gründete sie die Wilma Rudolph Foundation, die sich für soziale Projekte und benachteiligte Kinder einsetzte.
Zu den geförderten Kindern gehörte auch Florence Griffith-Joyner, die 1988 in Seoul, wie Rudolph 28 Jahre zuvor, drei Goldmedaillen gewann.
Als erste Schwarze Frau wurde Wilma Rudolph 1974 in die US-amerikanische Hall of Fame der Leichtathletik aufgenommen.
Wilma Rudolph starb am 12. November 1994 im Alter von 54 Jahren an einem Hirntumor.
1975 wurde der TV-Film “Wilma” — mit dem jungen Denzel Washington in einer seiner ersten Rollen — über Wilma Rudolphs Leben veröffentlicht.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Wilma Rudolph, Star of the 1960 Olympics, Dies at 54, New York Times
2. Wilma Rudolph sprintet trotz Kinderlähmung zu Gold, ARD alpha
3. Black History Month: The sportswomen you should know more about, BBC
Dies ist die 47. Ausgabe von Zeitsprung.
Super ausgesucht, lieber Leo.
Tolle Frau, die sich nach diesem schwierigen Start an die Weltspitze kämpfte. Ich kann mich noch genau an diese Olympiade erinnern. Wir kauften unseren ersten Fernseher und für Deutschland 🇩🇪 lief Armin Hary in 100m Weltrekord und holte zwei Goldmedaillen. Er lebt heute noch, während Wilma Rudolph leider schon sehr früh verstarb.
Wieder ein so geniales Kurzpoträt einer herausragenden Persönlichkeit! Danke Leo ❣️