Heute vor 62 Jahren, auf dem Höhepunkt der Kubakrise, bewahrte der sowjetische Offizier Wasili Archipow die Menschheit vor einer Katastrophe: Als der Kommandeur eines sowjetischen U-Boots mehrere Detonationen im Wasser als einen amerikanischen Angriff interpretierte, wollte er einen nuklearen Torpedo abfeuern. Nur Archipows Veto verhinderte Schlimmeres.
Der 27. Oktober 1962, in den karibischen Gewässern vor Kuba: Während der Kubakrise wird ein sowjetisches U-Boot von der US-Navy mit Übungswasserbomben beschossen. Damit soll das U-Boot, das in die Zone der amerikanischen Seeblockade um den Inselstaat eingedrungen ist, zum Auftauchen gezwungen werden.
Unter Wasser ist die sowjetische Besatzung nach der mehrwöchigen Atlantiküberfahrt indes weitgehend von der Außenwelt abgeschlossen: Hat sich der Kalte Krieg mittlerweile zu einem offenen Konflikt entwickelt? Ist das ein Angriff?
Die Lage ist unübersichtlich. Der Kommandeur, der Politoffizier und der Stabschef der U-Boot-Flotte diskutieren über mögliche Reaktionen. Zwei der drei Männern wollen einen nuklearen Torpedo abfeuern.
Doch dafür brauchen sie die Zustimmung von Stabschef Wasili Archipow — und dieser zögert.
Wasili Archipow wurde am 26. Januar 1926 in der Nähe von Moskau geboren. Er besuchte eine Marineschule. An Bord eines Minensuchers nahm er am Ende des Zweiten Weltkriegs am Kampf gegen Japan teil.
Seit Beginn des Kalten Krieges 1947 lieferten sich die USA und die Sowjetunion ein jahrzehntelanges atomares Wettrüsten.
1962 erlebten die Spannungen zwischen den beiden Großmächten während der sogenannten Kubakrise einen zwischenzeitlichen Höhepunkt:
Als Reaktion auf die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Türkei, beschloss die Sowjetunion, eigene Mittelstreckenraketen auf Kuba zu stationieren.
Neben den Raketen sollten in einer geheimen Militäroperation rund 40.000 sowjetischen Soldaten nach Kuba verlegt werden, um die Raketen abzusichern.
Auch vier mit nuklearen Torpedos bewaffnete U-Boote waren Teil dieses Plans: Als Stabschef der U-Boot-Flotte war Wasili Archipow an Bord von “B-59”, das am 1. Oktober 1962 in See stach.
Unterdessen entdeckten die USA mithilfe von Aufklärungsflügen die sich im Bau befindenden Startrampen für Raketen auf Kuba.
Nach mehrtägiger Beratung über eine angemessene Reaktion verkündete Präsident Kennedy am 22. Oktober 1962, dass die US-Navy eine Seeblockade um Kuba errichten werde. Damit sollte die Lieferung weiterer Waffen auf die Insel verhindert werden.
Als das sowjetische U-Boot B-59 am 27. Oktober internationale Gewässer vor Kuba erreichte, wusste die Besatzung nichts von der Blockade: Aufgrund der Tauchtiefe und der Bemühungen, unentdeckt zu bleiben, war der Kontakt zur Außenwelt stark eingeschränkt.
Die US-Navy, die Übungsbomben abfeuerte, um die Seeblockade durchzusetzen und das U-Boot zum Auftauchen zu bewegen, wusste wiederum nichts von der nuklearen Bewaffnung des U-Boots.
In Kombination führte dies zu einem gefährlichen Missverständnis:
B-59-Kommandeur Sawizki vermutete, dass ein Krieg ausgebrochen war. Er interpretierte die Detonationen als Angriff und wollte mit dem Abfeuern eines nuklearen Torpedos reagieren. Doch er konnte diese Entscheidung nicht alleine treffen.
Drei Männer mussten den Abschuss autorisieren. Politoffizier Malennikow stimmte dem Vorschlag zu. Die Entscheidung hing somit nur noch von Stabschef Archipow ab.
Archipow zögerte: Seit Tagen hatten sie keinen Kontakt nach Moskau gehabt. Sie wussten nicht, ob es sich wirklich um einen Angriff handelte. Eine voreilige Fehlinterpretation der Lage hätte fatale Konsequenzen zur Folge.
Schließlich sprach sich Archipow gegen den Einsatz der Nuklearwaffe aus. Es gelang ihm, den Kommandeur zu überzeugen, aufzutauchen und weitere Befehle aus Moskau abzuwarten.
Kurz darauf endete die Kubakrise: Die USA versicherten, die in der Türkei stationierten Mittelstreckenraketen wieder abzuziehen und nicht in Kuba einzumarschieren. Im Gegenzug erklärte sich der sowjetische Präsident Chruschtschow bereit, die eigenen Raketen abzuziehen.
Erst 2002 wurde öffentlich bekannt, wie unmittelbar ein nuklearer Konflikt an diesem 27. Oktober 1962 bevorstand — und dass es Wasili Archipow war, dessen bedachtes Handeln die Welt wahrscheinlich vor einer Katastrophe rettete.
In dieser Doku (auf Englisch) kommen einige Zeitzeugen zu Wort.
Wasili Archipow starb am 19. August 1998 in der Nähe von Moskau.
Bis bald!
Leo
Als die Welt ein weiteres Mal vor einem nuklearen Konflikt stand:
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Die Kuba-Krise 1962, Bundeszentrale für politische Bildung
2. Soviets Close to Using A-Bomb in 1962 Crisis, Forum
is Told, The Boston Globe
3. Soviet submarine officer who averted nuclear war honoured with prize, The Guardian
Dies ist die 56. Ausgabe von Zeitsprung.
Lieber Leo, wieder eine sehr spannende Story der Zeitgeschichte. Gerade an die Kubakrise erinnere ich mich noch genau, da ich sie als Jugendliche erlebte.
Welch ein glimpflicher Ausgang, da beide Staatsmänner sich zum Wohl ihrer Völker zurückgenommen haben. Beide wären Vorbilder in heutiger Zeit!
Ich erinnere mich auch, über diesen sowjetischen Helden gelesen zu haben.
Lieber Leo,
Archipow hätte es verdient, Karriere zu machen, anstatt viel später als ein Rentner von vielen zu leben und zu sterben.
Das Betreiben des "Zeitsprung" ist sehr verdienstvoll, Leo!