Stanislaw Petrow: Verhinderer des Atomkriegs
Am 26. September 1983 meldete das sowjetische Raketenfrühwarnsystem einen US-amerikanischen Atomraketenangriff. Der diensthabende Offizier Stanislaw Petrow musste die Situation unter enormem Druck bewerten: Im Falle eines Angriffs blieben nur wenige Minuten, um zu reagieren. Sein bedachtes Handeln verhinderte möglicherweise eine Katastrophe.
Stanislaw Petrow wurde 1939 in Russland geboren. Er studierte Luftfahrttechnik. Nach seinem Abschluss schloss er sich den sowjetischen Luftstreitkräften an und stieg zum Oberstleutnant auf. In seiner Funktion war er ab Mitte der 1970er Jahre am Aufbau und der späteren Überwachung des sowjetischen Raketenfrühwarnsystems beteiligt.
Ziel der Frühwarnsysteme während des Kalten Kriegs war es, einen möglichen atomaren Erstschlag der Gegenseite rechtzeitig zu erkennen, um noch vor dem Einschlag der Atombomben mit einem Vergeltungsschlag reagieren zu können. Dieses sogenannte “Gleichgewicht des Schreckens” sorgte für eine gewisse Stabilität, basierend auf der Annahme, dass keine der beiden Seiten so irrational handeln würde, die eigene Zerstörung für die Vernichtung des Gegners in Kauf zu nehmen.
Am Abend des 26. Septembers 1983 hatte Stanislaw Petrow dienstfrei. Eigentlich, denn nachdem sich ein anderer Offizier krankgemeldet hatte, erhielt er den Befehl, einzuspringen. Um 20 Uhr trat er seinen Dienst im geheimen Serpuchow-15-Luftraumüberwachungsbunker südlich von Moskau an.
Der Kalte Krieg befand sich zu dieser Zeit nach einer zwischenzeitlichen Phase der Entspannung auf einem Höhepunkt: Im März 1983 hatte US-Präsident Ronald Reagan die Strategic Defence Initiative (SDI) vorgestellt. Die SDI sah den Aufbau eines Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen vor, um einen möglichen sowjetischen Atomangriff abfangen zu können. Für die Sowjetunion -von Reagan als “Reich des Bösen” bezeichnet - stellte dies eine unmittelbare Bedrohung dar, weil man das Abschreckungsgleichgewicht gefährdet sah.
Der sowjetische Abschuss eines südkoreanischen Linienfluges mit 269 Toten am 1. September 1983 in Folge einer versehentlichen Luftraumverletzung hatte die Spannung zwischen Ost und West zusätzlich verschärft.
Die ersten vier Stunden von Stanislaw Petrows Schicht an diesem Abend verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Doch um 0:15 Uhr ertönte der Alarm. Auf der Anzeige vor Petrow erschien ein roter Warnhinweis: “Start“. Ein sowjetischer Satellit meldete den Abschuss von zunächst einer, und kurz darauf vier weiterer amerikanischer Interkontinentalraketen. Nur rund 28 Minuten würden im Ernstfall zwischen Abschuss und Einschlag der Raketen verbleiben.
Die Verantwortung lag nun bei Oberstleutnant Petrow: Er musste beurteilen, ob es sich um einen Erstschlag der USA handelte – oder aber um einen Fehlalarm. Seine Bewertung würde dann an den in Moskau sitzenden Führungsstab übermittelt werden, der über die Reaktion entscheiden würde. Petrow zögerte:
“Es gab mehrere Gründe, einen Fehlalarm anzunehmen. Unter anderem hatte am Tag zuvor ein Satellit fehlerhaft gearbeitet. Außerdem waren fünf Raketen für einen amerikanischen Erstschlag zu wenig. Aber der wichtigste Grund für meine Entscheidung war: Ich wollte es so sehen, dass es ein Fehlalarm ist.“
Er sollte Recht behalten: Der Satellit hatte die von Wolken reflektierten Strahlen der aufgehenden Sonne als Raketenstart gedeutet und einen Alarm ausgelöst. Petrows bedachtes, rationales Handeln verhinderte womöglich einen Atomkrieg, der mehrere 100 Millionen Menschenleben gefordert und weite Teile der Erde unbewohnbar gemacht hätte.
Die Sowjetunion hielt den beinahe fatalen Vorfall in der Folge geheim: Ein fehleranfälliges Frühwarnsystem machte sich nicht gut in der Öffentlichkeit. Petrows Handeln blieb ebenfalls lange Zeit ungewürdigt. 1984 wechselte er in eine zivile Rolle im Militär und arbeitete fortan in einem Forschungszentrum.
Erst 1998 wurde der Zwischenfall bekannt. In der Folge erhielt Petrow, der in ärmlichen Verhältnissen lebte, zeitweise große mediale Aufmerksamkeit. Im Westen erhielt er mehrere Preise, darunter 2006 den World Citizen Award. In Interviews wiederholte er stets, kein Held, sondern lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Stanislaw Petrow starb 2017 in Frjasino bei Moskau.
Im Doku-Spielfilm “The Man Who Saved The World” (Trailer auf Englisch) wird seine Geschichte erzählt und Ingeborg Jacobs hat eine Biografie über Petrow geschrieben.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Stanislav Petrov, Soviet Officer Who Helped Avert Nuclear War, Is Dead at 77, The New York Times
2. Weltretter Stanislaw Petrow: Der Mann, der die Menschheit vor der atomaren Katastrophe bewahrte, GEO
3. Stanislaw Petrow verhindert einen Atomkrieg, WDR Zeitzeichen
Zeitsprung, #20