Otto Weidt war Unternehmer, blind und ein entschiedener Gegner der Nazis. In seiner Bürsten- und Besenwerkstatt in Berlin beschäftigte er jüdische Blinde und Gehörlose. Jahrelang konnte er seine Belegschaft vor der Deportation schützen. Sein Mut rettete mehreren Menschen das Leben.
Otto Weidt wurde am 2. Mai 1883 in Rostock geboren. Er wuchs in einfachen Verhältnissen in Berlin auf und wurde Tapezierer. Eine Krankheit ermöglichte es dem überzeugten Pazifisten, sich einer Einberufung während des Ersten Weltkriegs zu entziehen. Stattdessen wurde er als Krankenpfleger fernab der Front eingesetzt.
In den 1930er Jahren erblindete Otto Weidt. In der Folge gründete er eine Werkstatt für Bürsten und Besen. In dem Betrieb beschäftigte er hauptsächlich blinde und gehörlose Jüdinnen und Juden.
Weidt war ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten. Immer wieder setzte sich der Firmengründer für seine zunehmend verfolgten und entrechteten Angestellten ein. Inge Deutschkron, eine von ihm gerettete Mitarbeiterin, erinnert sich:
“Das Wichtigste war für mich, dass er uns wie Menschen behandelt hat. Das gab es ja damals in Deutschland nicht, dass man Juden wie Menschen behandelt hat. […] Es war wie eine Oase, man ging da hin und wusste, hier ist man irgendwie beschützt.”
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erhielt seine Werkstatt einen Großauftrag der Wehrmacht und wurde als “wehrwichtiger Betrieb” eingestuft. Dies schützte die jüdische Belegschaft vorübergehend.
Anstatt die Wehrmacht jedoch zu beliefern, tauschte er den Großteil seiner produzierten Bürsten und Besen auf dem Schwarzmarkt ein. Dafür erhielt er Zigarren, Cognac und Parfüm. Diese begehrten Waren nutzte Weidt regelmäßig, um Gestapo-Männer zu bestechen.
Dennoch wurde die Situation für seine Angestellten immer bedrohlicher: 1941 wurde fast die gesamte Belegschaft von den Nazis abgeholt. In Möbelwagen wurden die Frauen und Männer in ein Deportationssammellager gebracht.
Erneut nutzte Weidt seine Kontakte, um auf die Wichtigkeit seiner Werkstatt für den Krieg zu verweisen und seine Angestellten zu befreien – mit Erfolg, wie Inge Deutschkron berichtet:
“Da war das Wahnsinnige: Er selber ist in die Große Hamburger Straße gegangen – dort war das Sammellager – und hat die Leute abgeholt, um sicherzugehen.”
Weidt wusste, dass er seine Belegschaft nicht länger zuverlässig schützen konnte. Mit seiner Frau und weiteren Helfern organisierte er verschiedene Verstecke für die Beschäftigten.
In einem fensterlosen Werkstattzimmer, verborgen hinter einem Kleiderschrank, versteckte Weidt die vierköpfige Familie Horn über mehrere Monate. Schließlich wurden die Horns verraten und deportiert.
Die unermüdliche Hilfe für seine Angestellten gefährdete auch den Fabrikanten: Mehrfach wurde Weidt von der Gestapo verhört. Dank seines schauspielerischen Talents und seiner Überzeugungskraft blieb er jedoch unbeschadet.
In den folgenden Monaten wurde der Großteil der Belegschaft verhaftet. Weidt schaffte es, dafür zu sorgen, dass sie nicht nach Auschwitz, sondern in das “Vorzeige”-Konzentrationslager Theresienstadt gebracht wurden.
Auch nach der Deportation riss seine Unterstützung nicht ab: Rund 150 Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten schickte Otto Weidt nach Theresienstadt.
Kurz vor Ende des Krieges fuhr er sogar selbst nach Auschwitz, um Alice Licht, seine ehemalige Sekretärin und Geliebte, aus einem Nebenlager zu befreien. Ihr gelang die Flucht. Später emigrierte sie in die USA.
Heute sind mehr als 45 Menschen namentlich bekannt, die bis 1945 in der Blindenwerkstatt arbeiteten. Neben Alice Licht und Inge Deutschkron überlebten nur wenige von ihnen den Holocaust.
Nach dem Krieg engagierte Weidt sich für den Bau eines jüdischen Kinder- und Altenheims.
Otto Weidt starb am 22. Dezember 1947 im Alter von 64 Jahren. Jahrelang geriet seine Geschichte in Vergessenheit.
Inge Deutschkron setzte sich später dafür ein, an ihren blinden Retter zu erinnern, der eindrucksvoll bewiesen hatte, dass es möglich war, verfolgten Menschen während der NS-Zeit zu helfen.
Heute ist in der ehemaligen Werkstatt von Otto Weidt in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte ein Museum eingerichtet, das an ihn, seine Helferinnen und Helfer, und seine Belegschaft erinnert. Der ARD-Film “Ein blinder Held” erzählt seine Geschichte.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Museum - Blindenwerkstatt Otto Weidt, Gedenkstätte Deutscher Widerstand
2. 2. Mai 1883 - Nazi-Widerständler Otto Weidt wird geboren, WDR Zeitzeichen
3. Otto Weidt: Ein mutiger Kleinfabrikant in Berlin, Berliner Morgenpost
Zeitsprung, #38
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