Louise de Bettignies baute das wohl größte Spionagenetzwerk des Ersten Weltkriegs auf. Rund 100 Menschen gehörten dem “Alice-Netzwerk” an, das den Vormarsch des deutschen Heeres im Westen immer wieder erfolgreich störte.
Louise de Bettignies wurde am 15. Juli 1880 im Norden Frankreichs geboren. Sie studierte Geisteswissenschaften in London, Oxford und Lille. Neben ihrer Muttersprache Französisch sprach sie Englisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, Russisch und Tschechisch.
Nach ihrem Studium arbeitete sie als Tutorin für die Kinder wohlhabender Familien in Italien, Spanien und dem damaligen Österreich-Ungarn. Anfang 1914 kehrte sie nach Frankreich zurück.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs arbeitete Louise als Krankenschwester. Zudem half sie dabei, die Truppen in Nordfrankreich mit Lebensmitteln zu versorgen.
Als Lille im August 1914 erstmals von den Deutschen besetzt wurde, bat sie der Bischof der Stadt, Post in den nicht besetzten Teil Frankreichs zu schmuggeln.
Die Patriotin Louise willigte ein. Dabei ging sie so geschickt vor, dass sowohl der französische als auch der englische Nachrichtendienst auf sie aufmerksam wurden.
Als eine der ersten Frauen entschloss sie sich, für den MI1c, den Vorgänger des heutigen MI6, zu arbeiten. Nach einem kurzen Aufenthalt in England, wo sie mit den wichtigsten Spionagetechniken vertraut gemacht wurde, reiste sie unter dem Pseudonym Alice Dubois zurück nach Frankreich.
Ihr Auftrag lautete, ein Netzwerk von Spionen und Informanten aufzubauen, um den deutschen Vormarsch zu stoppen.
Innerhalb kurzer Zeit wuchs das “Alice-Netzwerk” auf rund 100 Menschen an, die in Frankreich, Belgien und den Niederlanden Informationen sammelten und weiterleiteten.
Unter ihnen waren viele Frauen, die strickten: Ihre Aufgabe bestand darin, relevante Informationen wie etwa deutsche Truppenbewegungen an Bahnhöfen zu beobachten und in besondere Strickmuster einzuarbeiten.
Die zwischen 1914 und 1915 vom Alice-Netzwerk gesammelten Informationen trugen entscheidend dazu bei, das deutsche Heer auf seinem Vormarsch immer wieder empfindlich zu stören.
Dazu gehörte auch der Versuch, den Zug, in dem Kaiser Wilhelm II. zu Beginn des Krieges an die Front reiste, aus der Luft zu bombardieren. Die Flugzeuge verfehlten ihr Ziel jedoch.
Heute wird angenommen, dass die Arbeit des Alice-Netzwerks rund 1.000 Soldaten das Leben rettete. Der britische Vorgesetzte von Louise alias Alice bezeichnete sie als “die Königin der Spione”.
Die erhöhte Anzahl von Angriffen und Sabotageakten auf einem etwa 40 Kilometer langen Abschnitt der Front fiel der deutschen Heeresleitung auf: Sie suchte nach der Ursache.
In einer ihrer letzten Nachrichten warnte Louise die Franzosen vor einem groß angelegten, für Anfang 1916 geplanten Angriff der Deutschen bei Verdun.
Bei einer Grenzüberquerung mit falschen Papieren im Oktober 1915 wurde Louise de Bettignies von den Deutschen verhaftet. Kurz zuvor war bereits ihre wichtigste Unterstützerin, Marie Vanhoutte, verhaftet worden.
In monatelangen Verhören gab Louise nichts über sich, das Netzwerk oder seine Mitglieder preis. Die Deutschen hatten keine eindeutigen Beweise dafür, dass es sich bei Louise de Bettignies um die Anführerin des Alice-Netzwerks handelte. Dennoch wurde sie zum Tode verurteilt.
Später wurde das Urteil in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Im April 1916 wurde sie in ein Gefängnis in Siegburg bei Köln gebracht.
Anstatt sich ihrem Schicksal zu ergeben, lehnte sie sich jedoch gegen die Gefängnisleitung auf: Louise weigerte sich, in der Munitionsproduktion zu arbeiten und stiftete andere Gefangene zu einer Meuterei an.
Louise de Bettignies starb am 27. September 1918 mit 38 Jahren nach Komplikationen während einer Operation im Gefängnis.
Nach der Überführung ihres Leichnams nach Frankreich 1920 erhielt sie ein Staatsbegräbnis sowie diverse französische und britische militärische Auszeichnungen.
Schon 1935 hat Thomas Coulton eine Biografie über Louise de Bettignies geschrieben. Der historische Roman “The Alice Network” erzählt von Louise und ihrem Netzwerk.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. The female French spy who saved more than a thousand British soldiers, The Connexion
2. Louise de Bettignies, Chemins de Mémoire
3. Strick-Code, Süddeutsche Zeitung
Zeitsprung, #39
Danke für den tollen Bericht, ich freue mich auf jede neue Ausgabe
Danke sehr, Leo!