Ina Ender arbeitete als Schneiderin, Model und Verkäuferin in einem Modesalon. Durch ihre Arbeit lernte sie die Gattinnen und Geliebten der Nazi-Elite kennen, die ihr vertrauten. Was die Frauen nicht wussten: Ina Ender war eine Gegnerin des NS-Regimes, die sich im Widerstand engagierte.
Berlin, Sommer 1941: Eine Frau betritt den Modesalon “Annemarie Heise”. Sie ist Stammkundin in dem exklusiven Geschäft. Die Verkäuferin, Ina Ender, begrüßt sie freundlich.
Es ist heiß in der Reichshauptstadt. Dennoch interessiert sich die Kundin mit den blonden Locken an diesem Tag nur für lange, elegante Kleider und Mäntel.
Wieso sie denn im Hochsommer nach warmer Bekleidung suche, fragt die Verkäuferin.
Wie beiläufig entgegnet ihr die Frau, dass Moskau bis zum 7. November von der Wehrmacht erobert werden soll. Für den anschließenden Empfang brauche sie die entsprechend feierliche Kleidung.
Die Kundin ist Eva Braun, die heimliche Geliebte von Adolf Hitler.
Ina Ender wurde als Ina Schreier am 9. Juli 1917 in Berlin als Tochter eines Bildhauers und einer Schneiderin geboren. Ihr Vater war Mitglied in der KPD, später wurde er Sozialdemokrat.
Mit 15 Jahren begann auch Ina, sich politisch zu engagieren. Über ihren Freundeskreis um Hans Coppi und Hans Lautenschläger, ihrem späteren Ehemann, kam sie Anfang der 1930er Jahre mit der kommunistischen Jugend in Kontakt.
Nach der “Machtergreifung” Hitlers 1933 wurde Inas Vater, ein entschiedener Nazi-Gegner, aus dem Kreuzberger Bezirksamt entlassen und von der SA misshandelt.
Ina verlor ihren kostenfreien Schulplatz. Sie musste die Schule ohne Abschluss verlassen, da ihre Eltern sich ihr Schulgeld nicht leisten konnten. Ihre Mutter brachte ihr das Schneidern bei. Anschließend arbeitete sie als Näherin.
Darüber hinaus engagierte sie sich in der NS-Widerstandsgruppe, die Hans Coppi mit weiteren jungen Menschen unterschiedlichen politischen Hintergrunds formierte. Die Gestapo fasste die Gruppe später mit anderen Widerstandsgruppen unter dem Begriff “Rote Kapelle” zusammen.
1936 wurde der Starfotograf Hanns Hubmann, der etliche Nazigrößen fotografierte, auf die “langbeinige Schönheit” Ina Ender aufmerksam: Einige Wochen später war sie auf der Titelseite der “Berliner Illustrirten Zeitung” abgebildet. Es war der Beginn ihrer Karriere als Fotomodell.
Sie begann zudem, als Verkäuferin im bekannten Berliner Modesalon “Annemarie Heise” zu arbeiten. Zu den prominenten Kundinnen des Salons zählten Filmstars wie Zarah Leander und Marika Rökk — aber auch Magda Goebbels, Emmy Sonnemann-Göring und Eva Braun.
Später erinnerte Ina Ender sich, wie die Gattinnen und Geliebten der Nazi-Elite Vertrauen zu ihr aufbauten:
“Man ließ mich mit ihnen alleine. Ich durfte beraten, ich durfte bedienen und unter vier Augen mit ihnen sprechen.”
Das ihr entgegengebrachte Vertrauen war groß — wofür Ina Ender eine weitere Erklärung hatte:
“Die Damen waren in ihrer Art zum Teil dermaßen primitiv und dümmlich, dass es mir leicht fiel, mir vieles einzuprägen.”
Die gesammelten Informationen gab sie an den Widerstand weiter, so auch das für November 1941 geplante Eroberungsdatum Moskaus.
Internationale Reisen zu Modeschauen nutzte sie außerdem, um Informationen, die zur Koordination unterschiedlicher Widerstandsgruppen beitrugen, zu übermitteln.
Im September 1942 wurde Ina Ender verhaftet. Für das Verteilen von Flugblättern wurde sie wegen Beihilfe zur “Wehrkraftzersetzung” zu sechs Jahren Haft verurteilt — ein vergleichsweise mildes Urteil der NS-Justiz.
Andere Mitglieder der Widerstandsgruppe wurden hingerichtet, darunter auch Hans Coppi.
Ina Ender blieb bis zum Kriegsende inhaftiert. Nach dem Krieg wurde sie stellvertretende Bürgermeisterin einer brandenburgischen Kleinstadt und arbeitete als Kriminalpolizistin. In zweiter Ehe heiratete sie 1952 Siegfried Ender. Sie lebte in der DDR.
Während die Mitglieder der “Roten Kapelle” in Westdeutschland lange Zeit als “Vaterlandsverräter” galten, wurde der vermeintlich kommunistisch geführte Widerstand in der DDR instrumentalisiert.
Ina Ender starb am 27. März 2008 im Alter von 90 Jahren in Lehnitz.
Einen guten Start ins neue Jahr und bis bald!
Euer Leo
Mehr zur “Roten Kapelle”:
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Die Widerstandskämpferin Ina Ender stirbt in Lehnitz, WDR
2. Vorführdame und Widerständlerin – Ina Ender in Lehnitz, Unser Lehnitz
3. Die "Rote Kapelle": Widerstand im NS, BPB
Dies ist die 65. Ausgabe von Zeitsprung.
Hey Leo, ich mag deine Portraits so gerne und lese sie immer gerne, seit ich mir herumtreibe. Danke dafür!
Von Ina Ender habe ich noch nie gehört, dabei war meine Abschlussnote in der M. A. Prüfung - Schwerpunkt Machtstrukturen der NS-Regierung - gar nicht mal so schlecht.
Danke, lieber Leo für diese interessante Lebensgeschichte.
Ina Ender hat ja angesichts ihres hohen Alters noch die Wiedervereinigung erlebt.