Am Morgen des 1. Juni 1943 überfliegt KLM-Flug 777 auf dem Weg von Lissabon nach Bristol den Golf von Biskaya. Hoch über dem Atlantik eröffnet ein deutsches Kampfgeschwader das Feuer auf die Passagiermaschine, die wenig später brennend ins Meer stürzt.
Unter den 17 Opfern an Bord der Maschine war auch Wilfrid Israel, ein Philanthrop, der zehntausende Menschenleben rettete.
Wilfrid Israel wurde am 11. Juli 1899 in London geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Unternehmerfamilie. Sein Urgroßvater Nathan Israel hatte Anfang des 19. Jahrhunderts das Kaufhaus N. Israel, das erste Kaufhaus Berlins, gegründet.
Wilfrid wuchs in Berlin auf. Er interessierte sich besonders für ostasiatische Kunst, baute eine Sammlung auf und reiste um die Welt. Zu seinem großen, internationalen Netzwerk an Freunden und Bekannten zählten auch Intellektuelle wie Albert Einstein und Martin Buber.
1928 übernahm Wilfrid Israel gemeinsam mit seinem Bruder Herbert die Leitung des Familienunternehmens, das rund 2.000 Menschen beschäftigte.
Früh erkannte er die Gefahr für die jüdische Bevölkerung, die nach der “Machtergreifung” Hitlers 1933 von den Nationalsozialisten ausging.
Anstatt sein Unternehmen zu verkaufen und sich in Sicherheit zu bringen – neben der deutschen besaß er auch die englische Staatsbürgerschaft – beschloss er, in Deutschland zu bleiben.
Der als sanft, mutig und selbstlos beschriebene Israel wollte anderen Juden helfen. Er gründete mehrere Hilfsorganisationen. Über diese Organisationen lernte er Hubert Pollack, den Leiter des Statistikamts der Jüdischen Gemeinde Berlin, kennen.
Die beiden kamen mit Frank Foley, einem in Berlin stationierten britischen Geheimdienstmitarbeiter, in Kontakt. Foley war zugleich Direktor des Büros für Visa in der britischen Botschaft.
Zu dritt setzten sie sich unter Einsatz ihres Lebens dafür ein, in Konzentrationslagern inhaftierte Juden zu befreien und sie anschließend bei der Ausreise aus Deutschland zu unterstützen.
Dabei ergänzten sich die Männer geschickt: Juden, die versuchten, ihre Verwandten aus den KZs zu befreien, wandten sich an Wilfrid Israel. Dieser stellte Pollack das benötigte Geld zur Verfügung, um die Gestapo-Mitarbeiter zu bestechen und die Freilassung der Juden zu bewirken. Foley stellte den Juden daraufhin Ausreisevisa nach Großbritannien aus.
Der Mut zahlte sich aus: Rund 10.000 Juden konnten auf diesem Weg bis zu den Novemberpogromen 1938 gerettet werden.
Auch danach setzte sich Wilfrid Israel für die deutschen Juden ein: Er nutzte seine Kontakte nach Großbritannien und war entscheidend an der Organisation der Kindertransporte beteiligt.
Zwischen November 1938 und Anfang September 1939 konnten mehr als 10.000 jüdische Kinder nach Großbritannien gebracht und vor dem Holocaust gerettet werden.
Anfang 1939 wurde Israels Familienunternehmen “zwangsarisiert”. Mit dem Verkauf — zu einem Bruchteil des eigentlichen Werts — endete die 125-jährige Geschichte des Kaufhauses N. Israel.
Wilfrid Israel wanderte nach London aus. Auch dort unterstützte er unermüdlich jüdische Flüchtlinge und Hilfsorganisationen. Zudem beriet er die britische Regierung.
Eine weitere Rettungsaktion führte Wilfrid Israel im März 1943 schließlich nach Lissabon: Er verteilte mehrere hundert Visa an gestrandete Juden und half ihnen bei den Vorbereitungen auf die Ausreise nach Palästina.
Am 1. Juni 1943 trat Wilfrid Israel seine Rückreise nach England an. Er sollte sein Ziel nie erreichen und verstarb im Alter von 43 Jahren.
In einem Kondolenzbrief an Israels Mutter schrieb Albert Einstein über ihren Sohn:
“Nie in meinem Leben bin ich mit einem so edlen, starken und selbstlosen Wesen in Berührung gekommen, wie er es war - in wahrstem Sinne ein lebendes Kunstwerk.”
Im Deutschland der Nachkriegszeit gerieten Israels Leistungen in Vergessenheit. 1985 veröffentliche Naomi Shepherd Wilfrid Israels Biografie. 2017 erschien ein Dokumentarfilm über sein Leben.
An der Stelle, wo das im Krieg zerstörte Gebäude des Kaufhauses N. Israel in Berlin-Mitte stand, erinnern seit 2004 zwei Stolpersteine an Wilfrid Israel und das ehemalige Kaufhaus.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Wer war Wilfrid Israel? - Eine Annäherung, Goethe Institut
2. Wie jüdische Kinder aus Berlin flüchten konnten, Deutschlandfunk Kultur
3. Wilfrid Israel, Stolpersteine Berlin
Dies ist die 44. Ausgabe von Zeitsprung.
Gerade diese Erinnerung hat mich sehr berührt und wieder einmal auf dieses ganze Unmenschliche und Verbrecherische der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 herzzerreißend wütend gemacht!
Danke auch für den Link zu den entsprechenden Stolpersteinen! Eine gute Idee, für uns Berliner, diese Stellen zu finden, aufzusuchen und den Personen zu gedenken!