Victoria Woodhull war die erste US-Präsidentschaftskandidatin. Die Frau, die kaum zur Schule ging, wurde außerdem die erste Börsenmaklerin an der Wall Street, Verlegerin und eine wichtige Wegbereiterin für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau. Jahrzehntelang geriet ihre bewegte Lebensgeschichte in Vergessenheit.
In der kommenden Woche steht die 60. Präsidentschaftswahl in den USA an. Für die Demokraten geht mit Kamala Harris eine Frau in das meist von Männern dominierte Rennen. Zeit, um auf die erste Kandidatur einer Frau zurückzublicken.
“Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mit der Bewerbung mehr Hohn als Enthusiasmus auslöse. Aber dies ist eine Epoche der plötzlichen Veränderungen und Überraschungen. Was heute absurd erscheint, wird morgen ein seriöser Aspekt sein.”
Mit diesen vorausschauenden Worten kündigte Victoria Woodhull am 2. April 1870 ihre Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl an.
Doch als am 5. November 1872 schließlich gewählt wurde, saß Woodhull im Gefängnis.
Victoria Woodhull wurde am 23. September 1838 als siebtes von zehn Kindern der Familie Claflin in Ohio geboren. Die Familie lebte vom geringen Einkommen des Vaters, der als Wahrsager und mit kleinkriminellen Aktivitäten seine Familie zu ernähren versuchte.
Schon im Kindesalter musste auch Victoria als Wahrsagerin und Spiritistin — der Spiritismus war ein Kult, dessen Anhänger glaubten, mit den Geistern Verstorbener kommunizieren zu können — zum Lebensunterhalt der Familie beitragen.
Victoria ging aufgrund der schwierigen familiären Verhältnisse und häufiger Wohnortwechsel nur rund drei Jahre lang zur Schule. Ihre Lehrer bezeichneten sie als hochintelligent.
Um der prekären Situation zu entkommen, heiratete sie mit 15 Jahren Canning Woodhull. Woodhull wurde Alkoholiker und Victoria arbeitete als spirituelle Heilerin, Wahrsagerin und Schauspielerin, um für sich und die beiden gemeinsamen Kinder zu sorgen.
1864 ließ sich Victoria scheiden — für Frauen zu dieser Zeit zwar möglich, aber häufig mit sozialer Ausgrenzung verbunden.
Sie lernte den gebildeten US-Bürgerkriegsveteranen James Blood kennen. Durch ihn kam Victoria erstmals mit politischen und sozialen Reformbewegungen in Kontakt. 1866 heirateten die beiden und zogen nach New York.
Dort lernte Victoria den Eisenbahnunternehmer Cornelius Vanderbilt kennen. Er nahm ihre spiritistischen Dienstleistungen in Anspruch. Die Beziehung mit dem Magnaten vertiefte sich mit der Zeit: Victoria wurde Vanderbilts hellsehende Finanzberaterin, die er vor wichtigen Investitionsentscheidungen konsultierte.
Mit Erfolg: Vanderbilt erwirtschaftete beachtliche Gewinne, die er auf Victorias Prophezeiungen zurückführte.
In Wahrheit waren die Börsenerfolge jedoch weniger auf ihre Fähigkeiten als Hellseherin und mehr auf Insiderinformationen zurückzuführen: Victoria verfügte über gute Kontakte zu Geliebten verschiedener Industrieunternehmer.
Die Schwestern Victoria und Tennessee — Tennessee war Vanderbilts Geliebte und Heilerin — wurden an den Gewinnen Vanderbilts beteiligt. 1870 wurde “Woodhull, Claflin & Co.” die erste von Frauen geführte Börsenmaklerfirma an der Wall Street.
Sie nutzten ihr erwirtschaftetes Vermögen, um sich für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau einzusetzen. In der Wochenzeitung Woodhull & Claflin Weekly schrieben sie über politische Reformansätze.
Im April 1870 gab Victoria Woodhull schließlich ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahl bekannt. Nominiert wurde sie von der neugegründeten Equal Rights Party — als erste Frau überhaupt.
Die Rechtmäßigkeit der Nominierung wurde später unterschiedlich bewertet: Frauen durften damals weder wählen noch für die Präsidentschaft kandidieren. Selbst wenn ihre Kandidatur zugelassen worden wäre, wäre sie mit 32 Jahren — das Mindestalter liegt bis heute bei 35 — zu jung für das Präsidentenamt gewesen.
Kurz vor der Wahl wurde Woodhull festgenommen. Mit einem Bericht über die außereheliche Beziehung des prominenten und einflussreichen Predigers Henry Ward Beecher hatte sie für einen gesellschaftlichen Skandal gesorgt.
Den Wahltag am 5. November 1872 verbrachte Woodhull im Gefängnis. Amtsinhaber Ulysses Grant konnte die Wahl erneut gewinnen.
Mehrere Gerichtsprozesse und hohe Kautionszahlungen führten Victoria Woodhull in den finanziellen Ruin. 1876 ließ sie sich von James Blood scheiden.
In der Folge emigrierte sie nach England. Dort heiratete sie 1883 in dritter Ehe einen wohlhabenden Bankier. Ihr politisches Engagement setzte sie bis zu ihrem Lebensende fort.
Victoria Woodhull starb am 9. Juni 1927 im Alter von 88 Jahren. Ihr außerordentlich bewegtes Leben geriet in Vergessenheit.
Woodhulls Biografie ist als Buch erschienen. In dieser Podcastfolge wird ihr Leben besprochen.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Victoria Woodhull, Ohio State University
2. Victoria Woodhull, National Women’s History Museum
3. Who was Victorial Woodhull?, Independent
Dies ist die 57. Ausgabe von Zeitsprung.
Danke Leo! Was für eine wunderbare Geschichte Du wieder ausgegraben hast!!
Herzlich Angelica
Einmal mehr: Was für eine Biographie. - Danke, Leo.