Während der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg leitete Tadeusz Pankiewicz die einzige Apotheke im Krakauer Ghetto. Jahrelang setzte er sich mit seinen Mitarbeiterinnen für die jüdischen Ghettobewohner ein: Er versorgte sie mit Medikamenten und Lebensmitteln, schmuggelte Wertgegenstände und Nachrichten vorbei an den Besatzern und versteckte mehrere Juden, um sie vor der Deportation zu schützen. Am vergangenen Donnerstag vor 116 Jahren wurde Tadeusz Pankiewicz geboren.
1942 im Krakauer Ghetto: Während einer deutschen Razzia sucht die junge Jüdin Irena Halpern verängstigt Zuflucht in der Apotheke “Zum Adler”.
Tadeusz Pankiewicz, der Apothekeninhaber, deutet auf eine dunkle Ecke unter dem Verkaufstresen. Schnell kriecht sie unter den Holztisch.
Kurz darauf betreten die Besatzer die Apotheke. Während die SS-Männer das Geschäft durchsuchen, verdeckt Pankiewicz das Versteck mit seinem Körper — mit Erfolg: Irena bleibt unentdeckt.
Dies ist die 60. Ausgabe von Zeitsprung. Danke für’s Lesen und Eure und Ihre Nachrichten und Kommentare!
Tadeusz Pankiewicz wurde am 21. November 1908 geboren. Er wuchs in Krakau auf, wo sein Vater 1909 die Apotheke “Zum Adler” eröffnete.
Er studierte Pharmazie, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. 1933 übernahm Tadeusz die Leitung der Apotheke.
Wenige Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 eroberte die Wehrmacht Krakau.
Im März 1941 errichteten die Besatzer im Stadtteil Podgórze ein “jüdisches Wohnviertel”. 15.000 Juden wurden auf einem Gebiet, auf dem vorher nur 3.000 Menschen lebten, zusammengepfercht. Stacheldrähte und eine Mauer trennten das Ghetto vom Rest der Stadt.
Auch die Apotheke “Zum Adler” befand sich in Podgórze. Deshalb forderten die Deutschen Pankiewicz auf, in Räumlichkeiten außerhalb des Ghettos umzuziehen.
Doch Pankiewicz wollte bleiben. Mithilfe von Bestechungszahlungen erhielt er schließlich eine Sondergenehmigung, die es ihm ermöglichte, seine Apotheke weiter zu betreiben. Der Pharmazeut und seine drei Mitarbeiterinnen wurden die einzigen nichtjüdischen Polen, die sich im Krakauer Ghetto aufhalten durften.
Durch die Fenster beobachteten sie das Geschehen auf dem Platz vor der Apotheke: Wiederholt wurden Ghettobewohner zusammengetrieben und misshandelt. Einige von ihnen wurden hingerichtet.
Zudem wurden die vermeintlich arbeitstauglichen Menschen von den Alten und Schwachen getrennt, die anschließend in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Immer wieder suchten die verzweifelten Juden Zuflucht in der Apotheke. Obwohl es ihnen streng verboten war, versuchten Pankiewicz und seine Mitarbeiterinnen, den Menschen, so gut es ging, zu helfen.
Sie gaben Medikamente und Verbandsmaterial aus, halfen aber auch auf andere Weise: Schmuck und Mitteilungen wurden hinausgeschmuggelt, Lebensmittel und Informationen über den Kriegsverlauf in das Ghetto hineingebracht.
Außerdem verteilte Pankiewicz Haarfärbemittel, damit die Bewohner ihre Identität leichter wechseln konnten, und Beruhigungsmittel, um Kinder bei Gestapo-Razzien unbemerkt zu verstecken.
Während der Razzien versteckte das Apothekenpersonal mehrfach Ghettobewohner — wie die junge Irena Halpern — in der Apotheke. Nachts wurde sie zum Treffpunkt für Intellektuelle. Auch Untergrundaktivitäten wurden dort geplant.
Im Zuge der Auflösung des Ghettos im März 1943 wurden Pankiewicz wertvolle Tora-Rollen und andere religiöse Gegenstände übergeben, die er bis zum Ende des Kriegs aufbewahrte.
Von den 60.000 Juden, die 1939 in Krakau lebten, überlebten nur 2.000 die Zeit der deutschen Besetzung.
Nach dem Krieg sagte Pankiewicz als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen aus. 1947 veröffentlichte er seine Erinnerungen an die Zeit im Krakauer Ghetto.
In den 1960er Jahren zog die Apotheke um, in den Räumlichkeiten entstand ein Restaurant. 1983 wurde das Gebäude in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Heute erinnert darin ein Museum an Tadeusz Pankiewicz und die Apotheke “Zum Adler”.
1964 schrieb er in einem Brief über seine Beweggründe, den Ghettobewohnern zu helfen:
“Ich folgte dem Vorbild meiner Eltern, dass alle Menschen mit Freundlichkeit behandelt werden sollten, dass wir in jedem einen Bruder sehen sollten und, falls jemand Hilfe benötigt, es in unserer Verantwortung liegt, eine helfende Hand zu reichen.”
Tadeusz Pankiewicz starb am 5. November 1993 im Alter von 84 Jahren.
In diesem Gespräch spricht er mit Claude Lanzmann auf Deutsch über die Jahre 1941-43.
Bis bald!
Euer Leo
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Remembering Pharmacy’s Past: Tadeusz Pankiewicz: A Biography of a WWII Pharmacist, AIHP
2. Apotheker als Chronist des Grauens, Apotheke Adhoc
3. Pankiewicz Tadeusz, Yad Vashem
Dies ist die 60. Ausgabe von Zeitsprung.
DANKE! HJ
Wiederum eine bewegende Begebenheit im vermeintlich Kleinen, die so viel Großes letzten Endes geleistet hat😌 — und: Glückwunsch zum 60sten.😉