Der jüdische Jurist Curt Bloch floh 1933 vor den Nationalsozialisten in die Niederlande. Nachdem die Deutschen das Nachbarland überfielen und besetzten, tauchte Bloch unter. In seinem Versteck begann er, ein Satire-Magazin zu verfassen. In den folgenden zwei Jahren entstanden fast 500 Gedichte, die erst 80 Jahre später veröffentlicht wurden.
August 1943 in Enschede: Auf einem Dachboden versteckt, schneidet Curt Bloch ein Foto aus einer Zeitung aus. Sorgfältig klebt er das Foto auf ein Blatt Papier.
Über das Bild schreibt er mit seinem Füller “Het Onderwater” und unter das Foto “Cabaret”. Mit einem Faden näht er das Blatt mit einigen weiteren beschriebenen Seiten zusammen.
Was aussieht wie harmloses Basteln, ist in Wahrheit ein Akt des kreativen Widerstands:
Mit seinen Collagen und Gedichten macht sich der untergetauchte Bloch jahrelang über die deutschen Besatzer lustig — und riskiert dabei sein Leben.
Curt Bloch wurde am 9. November 1908 in Dortmund geboren. Nach dem Abitur studierte er Jura. 1930 wurde er promoviert. Anschließend arbeitete er als Referendar an verschiedenen Gerichten.
Wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde im April 1933 das “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” erlassen.
Das Gesetz diente dem Ziel, jüdische Menschen aus dem Staatsdienst zu entfernen. Auch Curt Bloch wurde als Jude auf unbestimmte Zeit beurlaubt.
Er wurde bedroht und körperlich attackiert. Noch im April 1933 emigrierte er in die Niederlande.
In Amsterdam arbeitete er für verschiedene Handelsunternehmen. Im Frühjahr 1939 folgten ihm auch seine Mutter und seine jüngere Schwester in die Niederlande.
Doch die Sicherheit im Nachbarland währte nur kurz: Nach der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht ab Mai 1940 sah sich die jüdische Bevölkerung auch dort der Verfolgung ausgesetzt.
1942 begannen in den Niederlanden die Deportationen jüdischer Menschen in Konzentrationslager. Als auch Curt Bloch eine Aufforderung zum angeblichen Arbeitseinsatz erhielt, ging er in den Untergrund.
Vermittelt durch ein Hilfsnetzwerk des Pastors Leendert Overduin, der rund 1.000 Verfolgten half, fand Bloch ein Versteck in Enschede: Im August 1942 tauchte er auf dem Dachboden des Hauses des Ehepaars Menneken unter.
Das Leben im Versteck, das er sich mit zwei anderen Untergetauchten teilte, war bedrückend und eintönig. Bloch suchte nach einem Weg, sich geistig zu beschäftigen — und schrieb Gedichte. Außerdem fertigte er Collagen aus Zeitungsausschnitten an, die er mit den beschriebenen Seiten zusammennähte.
So entstand ab August 1943 “Het Onderwater Cabaret” — Curt Blochs regelmäßig erscheinendes Satire-Magazin als kreative Form des Widerstands.
Den Titel wählte er in Anlehnung an die niederländische Bezeichnung für Untergetauchte, die sich “unter Wasser” versteckten. In dem auf Niederländisch und Deutsch verfassten Magazin behandelte Bloch den Verlauf des Krieges und die Verbrechen der Nazis.
Das deutsche Volk griff zum Gewehr
Und gleich ‘ner Räuberbande
Brandschatzt und plündert und fällt her
Man über fremde Lande.Der Dänen Butter, Frankreichs Wein,
Das russische Getreide,
Sie alle sollten euer sein,
Es war ‘ne kurze Freude.Denn auf die Dauer gings nicht gut
Mit Hakenkreuzmethoden,
Vertan ist nun das deutsche Blut
Und Deutschland liegt am Boden.
Mit scharfer Ironie machte er sich über Hitler, Goebbels und Göring lustig und entlarvte die nationalsozialistischen Lügen. Doch er schrieb auch über sein Leben im Versteck und das Schicksal seiner Familie.
Er hatte erfahren, dass seine Mutter und seine Schwester, die in Leiden untergetaucht waren, entdeckt und verhaftet worden waren. An seine Schwester Helene schrieb Bloch:
Halt stand dem Unrecht und Gewalten,
Die unheilvoll dich jetzt bedrohn
Und bleib gesund und wohlbehalten
Bleib stark trotz Hass, Verrat und Hohn.Und geht der Krieg einmal zu Ende,
Dann werd ich auf die Suche gehn,
Im Geiste drück ich deine Hände
Und sage still auf Wiedersehn.
Erst nach dem Krieg erfuhr Curt Bloch, dass seine Mutter und seine Schwester im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurden.
Die postkartengroßen Ausgaben wurden von Boten an andere Untergetauchte weitergegeben. So erreichte das Magazin bis zu 30 Menschen.
Bloch wusste, dass es lebensgefährlich war, die Besatzer zu persiflieren. Als er hörte, dass vier Personen 1943 für ein Gedicht wegen “Wehrkraftzersetzung” zum Tode verurteilt worden waren, schrieb er:
Vier Leben für nur ein Poëm,
Da frag ich mich verwundert,
Was würde dann mit mir geschehn,
Ich habe fast vierhundert.
Insgesamt verfasste Bloch 95 Ausgaben des “Onderwater Cabaret” mit 492 Gedichten. Die letzte Ausgabe erschien im April 1945 nach der Befreiung Enschedes unter dem Titel “Überwasser-Finale des Unterwasser-Kabaretts”.
Nach dem Krieg lernte Bloch die Auschwitz-Überlebende Ruth Kan in Amsterdam kennen. Die beiden heirateten und emigrierten 1948 in die USA. Sie bekamen zwei Kinder. In New York betrieb Bloch ein Antiquitätengeschäft.
Curt Bloch starb am 14. Februar 1975 im Alter von 66 Jahren.
Mehrere Jahrzehnte lang lagen die Ausgaben des “Onderwater Cabaret” unbeachtet in einem Schrank der Familie Bloch. Erst 2023 wurden sie veröffentlicht. Zu verdanken ist dies einer Enkelin von Curt Bloch, die sich mit seinem Nachlass auseinandersetzte.
Alle Ausgaben des Satire-Magazins sind auf dieser preisgekrönten Webseite öffentlich zugänglich. Sie bieten – neben Anne Franks berühmtem Tagebuch – einen der wenigen erhaltenen, sehr persönlichen Einblicke in das Leben eines Verfolgten während der NS-Zeit in den Niederlanden.
Das SZ-Magazin veröffentlichte im Dezember 2023 ein ausführliches Interview mit Curt Blochs Frau Ruth und seiner Tochter Simone.
Bis bald!
Euer Leo
Die wichtigsten Quellen:
1. curt-bloch.com
2. Leben und Werk von Curt Bloch, Jüdisches Museum Berlin
3. ‘Satirical resistance’: the magazine-maker who risked his life poking fun at the Nazis, The Guardian
Dies ist die 86. Ausgabe von Zeitsprung.
Danke Leo für diese Biografie. Aufmerksame Enkelin, die Sinn für Familiengeschichte hat.
Herzlichen Dank für die hochinteressanten Geschichten, die jeden Sonntagabend kommen!