Operation Paperclip: Ein zweites Leben für ranghohe NS-Wissenschaftler
Mit der deutschen Kapitulation im Mai 1945 und dem damit einhergehenden Ende des zweiten Weltkriegs in Europa entsandten die westlichen Alliierten spezielle Teams nach Deutschland: Sie hatten den geheimen Auftrag, fortschrittliche Technologien, besonders auf dem Gebiet der Luftfahrt sowie Waffensysteme und Entwicklungsstände von biologischen und chemischen Waffen zu sichern.
Nicht zuletzt aufgrund der deutschen Angriffe mit sogenannten V2-Raketen auf Städte wie London und Antwerpen, die die militärische Niederlage zwar nicht abwenden konnten, aber dennoch große Zerstörung anrichteten, wusste man um den fortschrittlichen Entwicklungsstand. Tatsächlich betrug der technologische Vorsprung der Deutschen 1945 auf Gebieten wie der Raketentechnologie und der Düsenantriebstechnologie rund 10 Jahre.
Im Kontext der zu dieser Zeit bereits wachsenden Spannungen zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion wurde das Unternehmen schnell ausgebaut: Es standen nicht mehr nur die Technologien, sondern auch die Wissenschaftler, die sie entwickelten im Fokus und so entbrannte ein Wettstreit mit der Sowjetunion darüber, wer die besten Köpfe für seine Seite gewinnen konnte.
Als Teil der sogenannten “Operation Paperclip” wurden insgesamt rund 1.600 deutsche Wissenschaftler zwischen 1945 und 1959 angeworben und in die USA gebracht, darunter auch der bekannte Raketenwissenschaftler Wernher von Braun, der die V2-Rakete entwickelt hatte. Bis 1990 trug die Gruppe maßgeblich zur weiteren zivilen und militärischen Entwicklung der USA auf unterschiedlichen Gebieten bei und legte so mitunter den Grundstein für die bemannte Raumfahrt. Der Wert der im Kontext von Operation Paperclip entstandenen industriellen Prozesse und Patente wird auf ca. 10 Milliarden US-Dollar beziffert.
Obwohl die Ergebnisse heute als große Erfolge gewertet werden, gilt die Operation bis heute als eine der kontroversesten Geheimdienstoperationen der US-Geschichte. Der Grund dafür: die Verstrickungen einiger der Wissenschaftler in die Verbrechen des NS-Regimes. Diese waren den Alliierten zwar durchaus bekannt, wurden der Öffentlichkeit jedoch größtenteils verschwiegen.
Wernher von Braun, beispielsweise, war langjähriges Mitglied der NSDAP sowie der SS. Unter seiner Leitung wurden KZ-Häftlinge unter schlimmsten Bedingungen zum Bau der V2-Raketen gezwungen. Auch der spätere erste Direktor des Kennedy Space Center und Verantwortliche für die Apollo-Mondlandungen, Kurt Debus, war in seinem früheren Leben SA- und SS-Mitglied. Hubertus Strughold, der spätere Direktor der Aerospace Medical Division der US-Luftwaffe und bis 2006 Mitglied der International Space Hall of Fame, verantwortete Menschenversuche an KZ-Häftlingen mit teilweise tödlichen Misshandlungen. Nach außen wurden sie als “Good Germans” präsentiert, um die Forschung nicht zu gefährden.
Die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler wurde nie für die eigene NS-Vergangenheit zur Rechenschaft gezogen; als zu wichtig erachteten die US-Behörden ihre Expertise für die ambitionierten Entwicklungsprojekte im Wettrüsten und sogenannten “Space Race“ während des Kalten Kriegs. Stattdessen erhielten sie auch dank des Ost-West-Konflikts die Chance auf ein neues Leben in den USA. Aus Sicht der durch den neuerlichen Konflikt unter Druck stehenden US-Regierung heiligte somit scheinbar der Zweck die Mittel.
Erst in den 1980er Jahren, als die meisten Wissenschaftler bereits tot oder sehr alt waren, wurden die Verwicklungen in die Verbrechen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Journalistin Annie Jacobsen hat das Buch “Operation Paperclip” geschrieben und zum Beispiel in diesem Podcast darüber gesprochen.
Bis bald!
Leo
Für diesen Text genutzte Quellen:
1. “Operation Paperclip: America’s Nazi Scientists”, Dan Snow’s History Hit
2. “Von Peenemünde ans Cape Canaveral”, Deutschlandfunk
3. “Operation Paperclip: The Secret Intelligence Program That Brought Nazi Scientists to America”, Annie Jacobsen