Mit der Seilbahn über die Mauer: Die Flucht der Familie Holzapfel
Das heutige Detlev-Rohwedder Haus in der Wilhelmstraße 97 in Berlin ist ein sich über einen ganzen Block erstreckendes Gebäude mit einer bewegten Geschichte. Erbaut 1935 als Sitz des Reichsluftfahrtministeriums, war es nach dem zweiten Weltkrieg der Ort, an dem die DDR am 7. Oktober 1949 offiziell gegründet wurde. Im Anschluss daran diente es bis zur deutschen Wiedervereinigung als sogenanntes Haus der Ministerien, das sich aufgrund des Verlaufs der 1961 errichteten Berliner Mauer nur wenige Meter von der deutsch-deutschen Grenze entfernt befand. Seit 1999 ist das Gebäude der Hauptsitz des Bundesministeriums für Finanzen.
In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1965 gelang es der Familie Holzapfel, bestehend aus Heinz, Jutta und ihrem damals neunjährigen Sohn, vom Dach dieses historischen Gebäudes aus nach Westberlin zu fliehen.
Heinz Holzapfel hatte den zweiten Weltkrieg als Mitglied des “Volkssturms” mit- und überlebt und war in der Folge zunächst so angetan von den Ideen des Sozialismus, dass er in die SED eintrat. Laut eigener Aussage veränderte sich die DDR in den Jahren danach aber so sehr, dass er sich immer weniger mit der sozialistischen Ideologie identifizieren konnte und gemeinsam mit seiner Frau den Entschluss fasste, das Land verlassen zu wollen.
Am späten Nachmittag des 28. Juli 1965 schloss sich die Familie in einer Damentoilette im 7. Stock ein und wartete, bis die Belegschaft des Hauses ihren Arbeitstag beendete und es draußen dunkel wurde. Ausgestattet mit unter den Füßen befestigten Schwämmen, um beim Kriechen über das Dach keinen Lärm zu machen, stiegen die Drei aus dem Fenster der Toilette und liefen gebückt über das Dach bis zur Kante, von wo aus die Mauer nur noch 15 Meter entfernt lag.
Was die drei Fliehenden nicht wussten: Sie wurden zu diesem Zeitpunkt bereits von einem sowjetischen Luftbeobachtungsposten entdeckt und beobachtet. Da dieser die Flucht jedoch für eine Schleusungsaktion der Staatssicherheit hielt, schlug er keinen Alarm. Erst viele Jahre später erfuhren die Holzapfels aus den Unterlagen der Stasi davon, dass sie beobachtet wurden.
An der Dachkante angelangt, warf Heinz Holzapfel einen in Schaumgummi eingepackten Hammer auf die andere Seite, an dem eine Schnur befestigt war. Auf der Westberliner Seite warteten bereits sein Schwager und ein weiterer Fluchthelfer, die ein dünnes Stahlseil an der Schnur befestigten, was die Holzapfels wiederum auf ihre Seite zogen und an einem Mast auf dem Dach befestigten.
Somit waren die letzten Vorbereitungen für den riskanten Fluchtversuch getroffen: In einem aus Polstermöbelstoff zusammengenähten Gurt schwebte zuerst der neunjährige Günther an einer selbstgebauten Seilrolle über die Mauer, gefolgt von seiner Mutter Jutta. Einige Zeit später schaffte es auch Heinz Holzapfel nach Lockerung und erneuter, erhöhter Befestigung des Seils, über die Mauer.
Die spektakuläre Flucht sorgte für ein großes mediales Echo auf Westberliner Seite. In der Folge zog die Familie nach München und baute sich ein neues Leben in Westdeutschland auf. Im Buch “Faszination Freiheit” schreibt Bodo Müller unter anderem über die Flucht der Holzapfels und in dieser Dokumentation schildern Heinz und Günther Holzapfel ihre Eindrücke und den Ablauf der Flucht. Heute erinnert zudem ein Comic, der die Flucht nacherzählt, am Zaun des Detlef-Rohwedder-Hauses an das spektakuläre Unternehmen.
Bis bald!
Leo
Für diesen Text genutzte Quellen:
1. “Flucht der Holzapfels”, Bundesfinanzministerium
2. “Grenzdurchbruch am Haus der Ministerien in Berlin-Mitte (2)”, Das Bundesarchiv
3. “Mit der Seilbahn über die Mauer”, 3sat-Dokumentation