Marie Juchacz trat als eine der ersten Frauen in Deutschland 1908 in eine politische Partei ein. 1919 war sie die erste Abgeordnete, die eine Rede in einem deutschen Parlament hielt. Sie setzte sich für die Gleichberechtigung der Frau ein und gründete die Arbeiterwohlfahrt. 1933 musste sie fliehen.
Marie Juchacz wurde am 15. März 1879 in Landsberg an der Warthe als Marie Gohlke geboren. Sie wuchs in einfachen, aber behüteten Verhältnissen auf. Bereits früh interessierte sie sich für Politik.
Bevor sie eine Lehre zur Schneiderin absolvierte, arbeitete sie als Hausangestellte und in der Krankenpflege. 1903 heiratete sie den Schneider Bernhard Juchacz. 1906 trennte sich Marie von ihrem Ehemann und zog mit den beiden gemeinsamen Kindern und ihrer Schwester Elisabeth nach Berlin.
Neben der Arbeit engagierten sich die Schwestern zunehmend politisch - für Frauen zu dieser Zeit nicht nur außergewöhnlich, sondern sogar verboten: Anfang des 20. Jahrhunderts mussten sie politische Veranstaltungen von und für Frauen noch als sogenannte “Leseabende” tarnen.
1908 wurde das Preußische Vereinsrecht, wonach Frauen die Mitgliedschaft in politischen Parteien verboten war, aufgehoben. Marie und Elisabeth gehörten zu den ersten Frauen, die in die SPD eintraten.
Maries besonderes Engagement galt den Frauenrechten und der Sozialpolitik. Als talentierte Rednerin gelang es ihr immer wieder, ein größeres Publikum bei Reden zur gesellschaftlichen Stellung der Frau zu begeistern. Später leitete sie zudem die sozialdemokratische Frauenzeitschrift “Die Gleichheit”.
1917 wurde Marie Juchacz von Friedrich Ebert in den Vorstand der SPD berufen. Die Novemberrevolution 1918 läutete das Ende des seit 1914 andauernden Ersten Weltkriegs und des deutschen Kaiserreichs ein. Kaiser Wilhelm II. musste abdanken, die Republik wurde ausgerufen.
In der Folge wurde das Wahlrecht reformiert. In einer Verordnung vom 30. November 1918 wurde die gesetzliche Grundlage für das Wahlrecht für Frauen geschaffen:
“Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben.”
Somit durften Frauen bei der darauffolgenden Wahl zur nationalen Volksversammlung am 19. Januar 1919 in Deutschland erstmals wählen und gewählt werden: 386 Männer und 37 Frauen zogen ins Parlament ein – darunter Marie Juchacz und ihre Schwester Elisabeth.
Einen Monat später, am 19. Februar 1919, war Marie Juchacz die erste Frau, die im deutschen Parlament eine Rede hielt. Sie machte deutlich, dass die Einführung des Frauenwahlrechts überfällig gewesen sei, der Weg zur Gleichberechtigung dennoch weit bleibe:
“Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewusster Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt.”
(Das Protokoll der ganzen Rede)
Im Dezember 1919 gründete Marie Juchacz die Arbeiterwohlfahrt (AWO) - bis heute eine der wichtigsten sozialen Einrichtungen in Deutschland mit mehr als 200.000 Beschäftigten.
Sie beobachtete die zunehmende Popularität der Nationalsozialisten mit Sorge - und kämpfte dagegen an. In ihrer letzten Reichstagsrede am 26. Februar 1932 mahnte sie vorahnend:
“Die Frauen […] wollen keinen Völkerkrieg, die Frauen wollen keine Verschärfung der Wirtschaftsnot durch innen- und außenpolitische Abenteuer. […] Es ist genug des Bluts! […] Die Frauen müssen bei dieser Wahl, die für das Schicksal des deutschen Volkes entscheidend sein kann, auf viele Jahre hinaus, den Kampf annehmen, für Frieden und Freiheit, für Frauenrecht und Frauenwürde, gegen den Todfeind: den Faschismus.”
Nach der Machtergreifung Hitlers Anfang 1933 wurden die SPD und die AWO verboten. Marie Juchacz geriet ins Visier des NS-Regimes und floh ins Saarland, wo sie ihren Widerstandsarbeit fortsetzte. Nach dem Saarreferendum 1935, das das Saarland wieder an Deutschland angliederte, ging sie nach Frankreich. 1941 floh sie in die USA.
1949 kehrte sie mit 70 Jahren nach Deutschland zurück. Als Ehrenvorsitzende engagierte sie sich bis zu ihrem Tod in der AWO. Marie Juchacz starb am 28. Januar 1956 in Düsseldorf.
Hier ist die Tonspur einer Rede Juchacz’ aus dem April 1928 überliefert.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Marie Juchacz, Digitales Deutsches Frauenarchiv
2. Erste Rede einer Frau im Reichstag am 19. Februar 1919, Bundestag
3. Wie Frauen sich ihr Wahlrecht erkämpft haben, NDR
Zeitsprung, #29
Wieder interessant, danke. Les es immer gern!👍
Und wieder was gelernt. Interessant. Danke und Gruß