Lise Meitner war eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie wurde eine der ersten Professorinnen in Deutschland und forschte auf dem Gebiet der Radioaktivität. Auf dem Höhepunkt ihres Schaffens musste sie 1938 aus Deutschland fliehen. Trotz ihrer entscheidenden Beteiligung an der Entdeckung der Kernspaltung blieb ihr der Nobelpreis verwehrt.
Lise Meitner wurde 1878 in Wien geboren. Als erst zweite Frau promovierte sie 1906 in Physik in Wien. Ein Jahr später zog sie nach Berlin. Dort besuchte sie mit einer Sondererlaubnis die Vorlesungen von Max Planck. Offiziell durften Frauen in Preußen erst ab 1908 studieren.
In Berlin lernte sie Otto Hahn kennen. Aus der Begegnung mit dem Chemiker entstand eine über Jahrzehnte andauernde Zusammenarbeit und Freundschaft. 1912 wurde sie zur Assistentin von Max Planck, zu dieser Zeit ein Novum an deutschen Universitäten.
Nach einem mehrmonatigen Einsatz als Röntgenschwester zu Beginn des Ersten Weltkriegs, kehrte sie 1916 nach Berlin zurück. Im Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Chemie erhielt sie eine eigene Abteilung. Später wurde Meitner die erste Professorin für Physik an einer deutschen Universität.
Obwohl sie bereits 1908 zum Christentum übergetreten war, galt die aus einer liberalen, jüdischen Familie stammende Physikerin nach der Machtergreifung Hitlers 1933 aus Sicht der Nazis als Jüdin. Ihre Lehrbefugnis wurde entzogen. Als österreichische und somit ausländische Staatsbürgerin durfte sie weiterhin am KWI arbeiten.
1935 schloss sich der Chemiker Fritz Straßmann den Forschungen von Meitner und Hahn an. Durch den Beschuss von Uran mit Neutronen versuchten sie, besonders schwere Elemente, sogenannte Transurane, zu produzieren.
Nach dem “Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurde Lise Meitner zur “reichsdeutschen Jüdin“. Die wachsende Bedrohung veranlasste sie, Deutschland im Juni 1938 spontan und unvorbereitet zu verlassen:
“Um keinen Verdacht zu erregen, war ich am letzten Tag meines Lebens in Deutschland bis acht Uhr abends im Institut (…). Dann hatte ich genau 1 1/2 Stunden Zeit, um ein paar notwendige Sachen in zwei kleine Koffer zu packen und um für immer von Deutschland wegzugehen – mit zehn Mark in der Tasche.“
Über die Niederlande reiste sie weiter nach Schweden. In Stockholm trat sie eine befristete Stelle am Nobel-Institut an und musste sich mit fast 60 Jahren ein neues Leben aufbauen.
In Berlin setzten Hahn und Straßmann ihre Forschung ohne Meitner fort. Mithilfe von Briefen, die später in einem Hörspiel vertont wurden, hielten sie Kontakt. Im Dezember 1938 schrieb Hahn – damals noch unwissentlich – über eine der folgenreichsten wissenschaftlichen Entdeckungen aller Zeiten:
„Es könnte noch ein höchst merkwürdiger Zufall vorliegen. Aber immer mehr kommen wir zu dem schrecklichen Schluß: unsere Ra[dium]-Isotope verhalten sich nicht wie Ra, sondern wie Ba[rium]. (…) Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen. Wir wissen dabei selbst, daß es eigentlich nicht in Ba zerplatzen kann.“
Gemeinsam mit ihrem Neffen, Otto Frisch – ebenfalls Physiker – analysierte Meitner die Ergebnisse. Auf Basis ihrer Rechnungen kam sie zu dem Schluss:
„Ich bin jetzt ziemlich sicher, daß Ihr wirklich eine Zertrümmerung zum Ba[rium] habt.“
Hahns Vermutung war bestätigt: Sie hatten es geschafft, eine bis dahin für unmöglich gehaltene Kernspaltung herbeizuführen. Die anschließenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen erfuhren große Aufmerksamkeit und bildeten ein zentrales Fundament für die weitere Forschung auf dem Gebiet.
Mit dem Zweiten Weltkriegs rückte eine militärische Nutzung der Kernspaltung immer stärker in den Fokus. 1943 wurde Lise Meitner eingeladen, in die USA zu reisen, um als Teil des “Manhattan Project“ am Bau einer Atombombe mitzuwirken. Die Pazifistin lehnte das Angebot ab.
1944 erhielt Otto Hahn den Nobelpreis in Chemie. Obwohl sie durch ihre Vorarbeit und die Deutung der Ergebnisse maßgeblichen Anteil an der Entdeckung hatte, wurde Meitner bei der Vergabe – wie Straßmann und Frisch – nicht berücksichtigt.
In den Folgejahren wurde Lise Meitner ganze 48-mal für den Nobelpreis in Physik oder Chemie nominiert. Die höchste wissenschaftliche Auszeichnung blieb ihr dennoch verwehrt – bis heute eine der kontroversesten Entscheidungen der Nobelpreis-Jury, überhaupt.
Später erhielt Lise Meitner, die in Schweden nie glücklich geworden sein soll, diverse andere Preise, darunter auch den “Otto-Hahn-Preis”. Sie starb 1968 kurz vor ihrem 90. Geburtstag in Cambridge.
In dieser Aufzeichnung von 1953 spricht Meitner über Frauen in der Wissenschaft.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Lise Meitner im Porträt, Max-Planck-Gesellschaft
2. Lise Meitner, DPMA
3. Ohne ihre Entdeckung hätte es die Atombombe nicht gegeben, Zeit Online
Zeitsprung, #25
Bemerkenswerte Person, fürchterliche Zeit. Danke!
Sehr spannend !