Lisa Fittko setzte sich früh mit kritischen Texten gegen den Nationalsozialismus ein. Als Jüdin musste sie Deutschland verlassen und landete über Prag, Basel, Amsterdam und Paris in Südfrankreich. Obwohl sie selbst bedroht war, verhalf sie hunderten Verfolgten zur Flucht über die Pyrenäen nach Spanien.
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Lisa Fittko wurde am 23. August 1909 in Ungvar, Österreich-Ungarn, als Elizabeth Ekstein geboren. Sie wuchs in Budapest und Wien auf. Dort gab ihr jüdischstämmiger Vater während des Ersten Weltkriegs die linksgerichtete, pazifistische Zeitung “Die Waage” heraus.
Anfang der 1920er zog die Familie nach Berlin. Dort engagierte sich auch Lisa, die bereits als Kind für Politik sensibilisiert worden war, zunehmend politisch in linken Kreisen und gegen den populärer werdenden Nationalsozialismus.
Nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 beschlossen ihre Eltern, Deutschland zu verlassen. Sie emigrierten in die Tschechoslowakei. Anstatt mit ihren Eltern mitzugehen, beschloss Lisa, in Berlin zu bleiben:
„Ich gehörte zu einer Gruppe, die seit Jahren das Aufkommen der Nazis und ihre Ideologie bekämpft hat und jetzt, wo es drauf ankommt, soll ich plötzlich das Land verlassen und wegrennen, wo die anderen weiterarbeiten? Das kam überhaupt nicht in Frage.”
Mit ihren Freunden schrieb und verbreitete sie regimekritische Literatur. Der Freundeskreis war überzeugt, dass die Nazis in einem Land wie Deutschland nicht lange an der Macht bleiben würden und sie durch ihre Arbeit zu einem baldigen Regimewechsel beitragen könnten.
Wenige Monate später war jedoch auch Lisa gezwungen, Berlin zu verlassen: Einige ihrer Freunde waren verhaftet worden. Sie drohte, verraten zu werden. Noch immer erschien es ihr undenkbar, dass die Nazis dauerhaft an der Macht blieben:
“Wie ich weg bin, habe ich einen Koffer gepackt, den ich mitnehmen konnte. Eine Freundin hat mir dabei geholfen. Sie hat Sachen eingepackt und ich hab gesagt: ‘Warum packst du denn diesen blauen Sweater ein? Der ist doch für den Winter, da bin ich doch längst wieder zurück.’ ”
Lisa folgte ihren Eltern nach Prag. Dort lernte sie ihren späteren Mann, Hans Fittko, kennen. Er war ebenfalls aus Deutschland emigriert. Zusammen zogen sie 1934 weiter nach Basel und später nach Amsterdam. 1938 flohen sie nach Paris.
Als sogenannte “unerwünschte ausländische Person” wurde Lisa 1940 in Gurs, nördlich der Pyrenäen, interniert. Sie schaffte es, von dort zu fliehen und nach Marseille zu gelangen. Dort lernten Hans und sie Varian Fry kennen.
Fry leitete das “Emergency Rescue Committees” (ERC), eine Hilfsorganisation, die Intellektuelle, Künstler und Juden von Südfrankreich aus zur Flucht nach Übersee verhalf.
Auf der Suche nach einer Möglichkeit, über die Pyrenäen nach Spanien zu fliehen, entdeckte Lisa Fittko die später als „F-Route” bekanntgewordene, ehemalige Schmugglerroute über die Bergkette.
Vermittelt durch das ERC, bat der deutsche Schriftsteller Walter Benjamin Lisa Fittko im September 1940, ihn über die Pyrenäen nach Spanien zu führen.
Obwohl Lisa und Hans selbst bedroht waren, beschlossen sie, noch mehr Verfolgten zu helfen: Es war der Beginn einer siebenmonatigen Fluchthilfe. Mehrere hundert Menschen führten die beiden über das Gebirge nach Spanien. In den folgenden Jahrzehnten bis zu ihrem Tod wiederholte Lisa Fittko immer wieder, dass die riskante Hilfe für sie beide eine Selbstverständlichkeit war. Sie sagte:
“Als Helden haben wir uns nie betrachtet. Aber es ist eine der großen Genugtuungen des Lebens gewesen, dass wir als Teil des Widerstandes in der Lage waren, anderen Leuten zu helfen zu überleben.”
Insgesamt konnten mit der Unterstützung des ERC über 2.000 Menschen vor den Nazis gerettet werden. Darunter waren unter anderem Hannah Arendt, Marc Chagall und Heinrich Mann.
1941 flohen Lisa und Hans Fittko nach Kuba. 1948 zog das Paar nach Chicago in die USA. Dort engagierte Lisa sich ihr restliches Leben lang in der Friedensbewegung. Nach Deutschland kehrten sie nicht zurück. Hans Fittko starb 1960. Lisa Fittko starb am 12. März 2005 im Alter von 94 Jahren.
Am Ausgangspunkt des Fluchtweges in Banyuls-sur-Mer erinnert heute ein Denkmal an Lisa und Hans Fittko. Eingraviert ist ein Zitat von Lisa:
“Es war das Selbstverständliche.”
1985 erschien ihr Buch “Mein Weg über die Pyrenäen”. Es wurde ein in viele Sprachen übersetzter Bestseller. In der Netflix-Serie “Transatlantic” wird Lisa Fittko von der Schauspielerin Deleila Piasko gespielt.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Lisa Fittko, Harald von Troschke-Archiv
2. Lisa Fittko, Who Helped Rescue Many Who Fled the Nazis, Dies at 95, New York Times
3. Widerstandskämpferin Lisa Fittko gestorben, Deutschlandfunk
Zeitsprung, #27
Danke Leo, wieder eine hoch interessante Lebensgeschichte. Helden die niemals als solche geehrt wurden, aber es dennoch waren und durch Dein Schreiben, einen Weg in das Bewusstsein der Menschen heute, finden.
Wieder ein hervorstechendes Beispiel für selbstlose Hilfe für andere, obwohl sie und ihr Mann jederzeit selbst aufs höchste gefährdet waren. Beispielhaft und Vorbild in der heutigen Zeit!