Irena Sendler: Retterin 2.500 jüdischer Kinder
Die polnische Sozialarbeiterin Irena Sendler befreite 2.500 jüdische Kinder auf abenteuerliche Weise aus dem Warschauer Ghetto und rettete ihnen so das Leben. Sie wurde zum Tode verurteilt, überlebte jedoch. Erst Jahrzehnte später wurden ihre Verdienste gewürdigt.
Irena Sendler wurde 1910 als Irena Krzyżanowska in Warschau geboren. Ab 1927 studierte sie zunächst Rechtswissenschaften, später polnische Literatur. 1931 heiratete sie Mieczysław Sendler. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Sozialarbeiterin und Krankenschwester in Warschau.
Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. 1940 wurde im Stadtzentrum der besetzten polnischen Hauptstadt das sogenannte Warschauer Ghetto errichtet. In der Folge wurden große Teile der jüdischen Bevölkerung aus dem gesamten besetzten polnischen Staatsgebiet, aber auch aus dem Deutschen Reich, in das durch eine Mauer abgegrenzte Ghetto gebracht. Insgesamt wurden rund 450.000 Menschen gezwungen, in das Gebiet, das der Größe des New Yorker Central Parks entsprach, umzusiedeln.
Irena, die sich schon während ihres Studiums mit diskriminierten jüdischen Mitstudierenden solidarisiert hatte, wollte den Ghettobewohnern helfen. Aufgrund der menschenunwürdigen Lebensbedingungen im Ghetto – man erhielt 184 Kalorien an Nahrung pro Tag und Kot, Abfall und Leichen bedeckten die Straßen – hatten die deutschen Besatzer Angst vor Krankheiten und überließen die Kontrollen den polnischen Gesundheitsbehörden.
Der Direktor des Warschauer Gesundheitsamtes verschaffte Irena und weiteren Helferinnen Zugang zum Ghetto als “Sanitätspersonal“. Gemeinsam schmuggelten sie Lebensmittel, Medikamente und Kleidung für die jüdischen Familien hinein.
Vom Leid der Menschen betroffen, entwickelte Irena den Plan, wenigstens einige der Kinder aus der “Hölle auf Erden”, wie sie den Ort bezeichnete, zu befreien. Es gelang ihr, ein Hilfsnetzwerk aufzubauen, das insgesamt 2.500 Kinder auf abenteuerliche Art und Weise aus dem Ghetto schmuggelte: Säuglinge wurden mit Schlafmittel betäubt und in Säcken und Kisten auf Sanitätswagen nach draußen gebracht. Ältere Kinder wurden durch die Kanalisation oder Keller am Rande des Ghettos gelegener Häuser befreit.
Außerhalb der Ghettomauern angekommen, erhielten sie mithilfe von gefälschten Papieren eine neue Identität und wurden in Klöstern, Waisenhäusern oder bei Pflegefamilien untergebracht. Heute wird vermutet, dass an der Rettung eines Kindes bis zu zwölf Unterstützerinnen und Unterstützer beteiligt waren.
Irena schrieb die Namen der geretteten Kinder auf. Damit sollten ihre wahren Identitäten später rekonstruiert werden können. Die Zettel mit den Namen vergrub sie später in Einmachgläsern in einem Garten.
Die Rettungsaktionen waren mit großen Risiken verbunden: Im Oktober 1943 wurde Irena verraten und von der Gestapo festgenommen. Sie wurde verhört, gefoltert und zum Tode verurteilt. Im letzten Moment gelang es der polnischen Untergrundorganisation Żegota, mit der sie zusammenarbeitete, Irena durch die Bestechung eines SS-Mannes zu befreien. Am nächsten Tag wurden Poster mit der Verkündung ihrer vermeintlich durchgeführten Exekution ausgehängt. Den Rest des Krieges verbrachte sie mit falscher Identität im Untergrund.
Im sozialistischen Nachkriegspolen wurde Irena wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem polnischen Widerstand erneut verhört und entkam nur knapp der Todesstrafe. In Polen blieben ihre Verdienste jahrzehntelang ungewürdigt. 1965 wurde sie in Yad Vashem als “Gerechte unter den Völkern” anerkannt. Erst 1983 erlaubte man Irena, nach Israel zu reisen, wo ein Baum zu ihren Ehren gepflanzt wurde.
2003 erhielt sie schließlich im Alter von 93 Jahren die höchste polnische Auszeichnung, den Orden des Weißen Adlers. Am 12. Mai 2008 starb Irena Sendler im Alter von 98 Jahren in Warschau. Sich selbst sah sie nie als Heldin: “Ich tat, was ich tun musste. Die Helden waren nicht wir, sondern die Kinder und Eltern, die sich voneinander trennen mussten."
Anna Mieszkowska hat das Buch “Die Mutter der Holocaust-Kinder” über Irena Sendler geschrieben. Auf Basis des Buchs entstand 2009 zudem ein Film. Lea Kampes historischer Roman “Der Engel von Warschau” basiert ebenfalls auf Irenas Geschichte.
Ein frohes neues Jahr und bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Irena Sendler, Life in a Jar: The Irena Sendler Project
2. Irena Sendler, The Economist
3. Sendlers Liste, Der Tagesspiegel
Zeitsprung, #17