Hanns Alexander verließ Deutschland, um vor dem NS-Regime zu fliehen. Rund zehn Jahre später kehrte er als britischer Soldat zurück: Für die Alliierten spürte er untergetauchte deutsche Kriegsverbrecher auf, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Morgen jährt sich sein Todestag.
Der 11. März 1946: Um 23 Uhr hämmert Hanns Alexander mit gezückter Pistole an eine Scheunentür auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein.
Der 28-Jährige stammt aus Berlin — doch er trägt die Uniform eines britischen Offiziers: Der vertriebene Jude sucht für die Alliierten nach deutschen Kriegsverbrechern.
In der Scheune vermutet er Rudolf Höß, den langjährigen Kommandanten des KZ Auschwitz.
Die Tür geht auf. Der Mann, der ihm entgegentritt, beteuert, Franz Lang zu heißen. Als Alexander ihn auffordert, ihm seinen Ehering zu überreichen, fliegt seine Tarnung auf.
Hanns Alexander wurde am 6. Mai 1917 in Berlin geboren. Sein Vater war ein angesehener Arzt. Die Familie lebte in Wilmersdorf in einer Wohnung mit 22 Zimmern. Marlene Dietrich und Albert Einstein gehörten zu den prominenten Gästen, die bei den Alexanders ein und aus gingen.
Nach der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten sah sich die jüdische Familie zunehmend Repressalien ausgesetzt. Hanns musste die Schule wechseln, ab 1934 arbeitete er bei einer Bank.
Infolge der zunehmenden Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung emigrierte die Familie 1936 nach Großbritannien. In London lernte Hanns Englisch und begann, wie zuvor in Berlin, bei einer Bank zu arbeiten. 1939 erkannten die Nazis der Familie Alexander die deutsche Staatsbürgerschaft ab und beschlagnahmten ihr Vermögen.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs meldeten sich Hanns und sein Zwillingsbruder Paul freiwillig zum Dienst in der britischen Armee.
Die Briten trauten den deutschen Flüchtlingen nicht vollständig: Mit anderen geflohenen Juden wurden sie in eine “Flüchtlingseinheit” eingeteilt. Diese Einheit erhielt keine Waffen, sondern unterstützte bei Baumaßnahmen nahe der Front.
Doch Hanns Alexander drängte darauf, in eine reguläre Einheit übernommen zu werden — mit Erfolg: 1943 konnte er eine Offiziersausbildung beginnen.
Kurz vor Kriegsende wurde er in die „War Crimes Investigation Unit“ (WCIU) aufgenommen. Die Aufgabe dieser Sondereinheit bestand darin, geflohene deutsche Kriegsverbrecher ausfindig zu machen und festzunehmen.
Im Mai 1945 wurde er zum KZ Bergen-Belsen entsandt, das kurz zuvor befreit worden war. Was er dort erlebte, löste eine tiefe Betroffenheit und Wut in ihm aus:
“Leichen liefen herum, Leichen lagen herum. Es gab Menschen, die glaubten, noch am Leben zu sein, die es in Wirklichkeit aber nicht mehr waren.”
Die Suche nach Kriegsverbrechern führte Hanns Alexander quer durch Deutschland. Unterwegs befragte er ehemalige Soldaten und Zivilisten. Im Dezember 1945 gelang ihm der erste große Erfolg: Er verhaftete Gustav Simon, den ehemaligen NS-Verwalter von Luxemburg.
In der Folge setzte die WCIU Alexander auf Rudolf Höß, den ehemaligen Kommandanten des KZ Auschwitz, an. Verhöre hatten ergeben, dass viele ehemalige KZ-Aufseher in Norddeutschland untergetaucht waren. Alexander begann in Flensburg zu ermitteln.
Kurz darauf konnte ein Brief von Höß’ Ehefrau Hedwig abgefangen werden. Der Inhalt legte nahe, dass sie wusste, wo sich ihr Mann versteckte. Sie wurde festgenommen, schwieg jedoch, als Alexander sie verhörte.
Er gab sich damit nicht zufrieden und erhöhte den Druck auf Hedwig Höß erheblich: Wenn sie ihm den Aufenthaltsort ihres Mannes nicht verraten würde, würde er ihren ältesten Sohn nach Sibirien deportieren lassen. Hedwig Höß knickte ein.
Noch am selben Tag verhaftete Alexander Rudolf Höß. In diesem kurzen Audio-Ausschnitt spricht er über die Verhaftung. Als Höß vorgab, dass sich sein Ehering nicht vom Finger lösen ließe, entgegnete Alexander:
“Das ist kein Problem. Dann schneiden wir den Finger ab!”
Höß legte ein umfassendes Geständnis ab. Er wurde nach Polen ausgeliefert, wo er im April 1947 auf dem Gelände des ehemaligen KZ Auschwitz hingerichtet wurde.
Hanns Alexander verließ Deutschland kurz nach Höß’ Verhaftung. Er kehrte nie wieder zurück. Er wurde Bankier, heiratete seine Verlobte und das Paar bekam zwei Kinder.
Hanns Alexander starb am 23. Dezember 2006 — morgen vor 18 Jahren — im Alter von 89 Jahren.
Mit seiner Familie hatte er kaum über den Krieg und die Monate danach gesprochen. Auf der Trauerfeier ihres frechen, immer zu Scherzen aufgelegten Verwandten erfuhren viele der Anwesenden erstmals von dessen Vergangenheit als Nazi-Jäger.
Dazu zählte auch der Journalist und Buchautor Thomas Harding. Er begann die Geschichte seines Großonkels zu recherchieren und veröffentlichte 2014 das Buch “Hanns und Rudolf”. Diese ARD-Serie befasst sich zudem mit der Geschichte.
Vielen Dank für’s Lesen, Kommentieren und Teilen im Jahr 2024! Ich wünsche Euch und Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr 2025! Nach einer kurzen Winterpause erscheint die nächste Zeitsprung-Ausgabe in zwei Wochen, am 5. Januar 2025.
Bis bald,
Euer Leo
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Hanns Alexander: Vom ungeliebten Soldaten zum Nazi-Jäger, NDR
2. Der Auschwitz-Kommandant und sein Jäger, Deutschlandfunk Kultur
3. Was my Jewish great-uncle a Nazi hunter?, The Guardian
Dies ist die 64. Ausgabe von Zeitsprung.
Es ist doch beruhigend zu lesen, dass ausgerechnet ein Jude, dessen Volk soviel unglaubliches Leid angetan wurde, dafür gesorgt hat, dass so ein Mörder und Schwerverbrecher wie Höss, durch ihn seiner gerechten Strafe zugeführt wurde und es ihm nicht gelungen ist durch feige Flucht, sich seiner Verantwortung zu entziehen!
Danke, lieber Leo für diese interessante Ausgabe von Zeitsprung. Auch Ihnen ein
besinnliches Weihnachtsfest
und ein gutes Jahr 2025 mit
Glück und Wohlergehen.
Ich danke auch für ein ganzes Jahr Informationen über
außergewöhnliche Menschen
des Zeitgeschehens!