Gunnar Sønsteby war 22 Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht Norwegen überfiel. Während der Besatzung seiner Heimat zwischen 1940 und 1945 spielte der Student eine entscheidende Rolle im norwegischen Widerstand. Er wurde der am höchsten dekorierte norwegische Staatsbürger.
Gunnar Sønsteby wurde am 11. Januar 1918 in der norwegischen Kleinstadt Rjukan geboren. Nach seinem Schulabschluss begann er Wirtschaftswissenschaften zu studieren.
Im April 1940 griff die deutsche Wehrmacht das neutrale Norwegen an. Die norwegischen Häfen waren für die deutsche Kriegswirtschaft von entscheidender Bedeutung:
Rund die Hälfte des für die Waffenproduktion benötigten Eisenerzes stammte aus Schweden. In norwegischen Häfen wurde es auf Schiffe verladen und nach Deutschland transportiert.
Nach zwei Monaten Kampf kapitulierte die zahlenmäßig weit unterlegene norwegische Armee am 10. Juni 1940. Es folgte die Besatzung Norwegens durch Nazi-Deutschland, die fünf Jahre andauern sollte.
Der 22-jährige Gunnar Sønsteby wollte sich wehren: Er schloss sich dem norwegischen Widerstand an.
Um der deutschen Propaganda nach der Gleichschaltung der norwegischen Medien etwas entgegenzusetzen, veröffentlichten Sønsteby und einige Mitstreiter eine illegale Zeitung.
Von der Außenwelt abgeschlossen, reiste er 1941 für den Widerstand erstmals nach Stockholm. Über die britische Botschaft kam er in Kontakt mit der norwegischen Exilregierung in London. Immer wieder reiste er als Kurier zwischen Oslo und Stockholm hin und her.
So wurde der Special Operations Executive (SOE) auf Sønsteby aufmerksam, der ihn 1942 schließlich rekrutierte. Als Unterabteilung des britischen Geheimdiensts führte der SOE Sabotageakte in von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten durch.
Eine der ersten Operationen mit Sønstebys maßgeblicher Beteiligung war der Diebstahl von Druckplatten für norwegische Kronen aus der Zentralbank. Die Platten wurden nach England geschmuggelt, wo frisches Geld gedruckt wurde, um die SOE-Aktivitäten zu finanzieren.
In der Folge reiste er 1943 nach Großbritannien. Dort wurde er geheimdienstlich geschult, bevor er im Herbst nach Norwegen zurückkehrte.
In Oslo wurde Sønsteby zu einer der wichtigsten Kontaktpersonen für die SOE-Agenten vor Ort. Er half bei der Koordination unterschiedlicher Widerstandsgruppen. Zudem wurde er zum Anführer der neu aufgestellten “Oslo Gang” ernannt.
Die Gang führte mehrere spektakuläre Sabotageaktionen gegen die deutschen Besatzer durch:
Als die Gruppe erfuhr, dass zehntausende junge Norweger gezwungen werden sollten, an der deutsch-sowjetischen Front zu kämpfen, sprengten die Männer das Büro des Arbeitsamts, das für die Registrierung der Norweger zuständig war.
Außerdem jagten sie Waffenfabriken, Munitionslager und Chemiewerke in die Luft, versenkten Handelsschiffe und erbeuteten 75.000 Lebensmittelmarken von den Deutschen.
Nach der D-Day-Invasion der Alliierten in der Normandie verzögerten gezielte Angriffe auf das Eisenbahnnetzwerk die Verlagerung deutscher Truppen von Norwegen an die französische Küste.
Die erfolgreichen Aktionen machten Sønsteby zum effektivsten Agenten der Briten in Norwegen — und zum von der Gestapo meistgesuchten Widerstandskämpfer.
Während viele seiner Weggefährten verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, gelang es Sønsteby immer wieder, zu entkommen – auch weil die Deutschen häufig nicht genau wussten, nach wem sie eigentlich suchten.
Sønsteby nutzte während der fünfjährigen Besatzung seiner Heimat 25 verschiedene Identitäten. Außerdem, so vermutete er später, half ihm sein unauffälliges Erscheinungsbild:
“Ich war in allem durchschnittlich. Durchschnittlicher Schulabschluss, durchschnittliche Größe und Aussehen. Ich stach in keiner Weise hervor. Aber gerade deshalb war es für die Gestapo so schwierig, mich zu fassen.”
Mit der deutschen Kapitulation im Mai 1945 endete auch die Besatzung Norwegens. Für seine Widerstandsarbeit erhielt Sønsteby zahlreiche militärische Auszeichnungen. Sowohl der britische als auch der norwegische Geheimdienst boten ihm an, für sie zu arbeiten. Er lehnte ab.
Stattdessen ging er in die USA und studierte in Harvard. Später arbeitete er in der Ölindustrie, bevor er nach Norwegen zurückkehrte.
Bis ins hohe Alter hielt der als Nationalheld gefeierte Sønsteby Vorträge, in denen er von seinen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs berichtete.
Gunnar Sønsteby starb am 12. Mai 2012 im Alter von 94 Jahren.
In diesen fünf Videos spricht Sønsteby ausführlich über sein Leben im Widerstand. Zudem hat er dieses Buch geschrieben. Noch in diesem Jahr soll ein Film (zumindest in Norwegen) über ihn erscheinen.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Gunnar Sonsteby: Norway's most decorated war hero, The Independent
2. Oral history interview with Gunnar Sønsteby, United States Holocaust Memorial Museum
3. Gunnar Sønsteby er død, NRK
Zeitsprung, #42
Unglaublich mutige Menschen!
Beeindruckend! Danke mal wieder für tolle Recherche!
Liebe Leo,
das war wieder eine sehr spannende Lebenserinnerung an einen äußerst mutigen jungen Mann. Erfreulich, dass er diese gefährliche Zeit unbeschadet überstanden hat, um danach ein ziviles Leben zu führen bis ins hohe Alter.