Der Italiener Gino Bartali gilt als einer der größten Rennradfahrer des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist sein Beitrag zur Rettung von hunderten Juden: In seinem Fahrrad versteckt transportierte er Dokumente, die 800 Menschen das Leben retteten.
Gino Bartali wurde am 18. Juli 1914 in der Nähe von Florenz geboren. Früh entwickelte er eine Begeisterung für den Rennradsport. Mit 13 Jahren begann er, in einer Fahrradwerkstatt zu arbeiten. Im selben Jahr fuhr er seine ersten Rennen. Mit 21 Jahren und 44 Siegen im Gepäck wurde er 1935 Rennradprofi.
Es gelang ihm, an seine Erfolge anzuknüpfen: Seine Siege beim Giro d’Italia 1936 und 1937, und bei der Tour de France 1938 machten ihn zum italienischen Star.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere begann der Zweite Weltkrieg, der ihn zu einer mehrjährigen Pause zwang. Mit dem Waffenstillstand von Cassibilie, der im September 1943 von den westlichen Alliierten und Italien unterzeichnet wurde, wurde das Achsenbündnis mit Nazi-Deutschland aufgelöst.
Die Wehrmacht besetzte daraufhin große Teile Italiens. Dort lebende Juden wurden in der Folge durch die Besatzer verfolgt. Tausende wurden in Vernichtungslager deportiert und ermordet.
Im Winter 1943 kontaktierte Elia Dalla Costa, der Erzbischof von Florenz, Gino Bartali. Die beiden kannten sich, Dalla Costa hatte Gino und dessen Ehefrau Adriana getraut. Als Teil eines Widerstandsnetzwerk half der Erzbischof Juden dabei, in den sichereren italienischen Süden zu fliehen.
Um dorthin zu gelangen, brauchten die Juden Papiere, die sie als Christen tarnten. Dafür bat Dalla Costa Bartali um Hilfe: Als bekannter Rennradfahrer würde es nicht auffallen, wenn er weite Strecken mit dem Fahrrad zurücklegte.
Auf den vermeintlichen Trainingsfahrten, so der Plan des Erzbischofs, könnte er Fotos und andere Dokumente nach Assisi transportieren. Dort versteckten Franziskanermönche zahlreiche Juden.
Bartali willigte ein. In der Folge fuhr er die 180 Kilometer lange Strecke zwischen Florenz und Assisi bis zum Kriegsende immer wieder mit seinem Rennrad - Hinweg und Rückweg teilweise am selben Tag.
Eingerollt im Sattelrohr und Lenker seines Rads versteckte er Fotos und Papiere für die verfolgten Menschen. Rund 800 Juden konnten mit den von Bartali überbrachten Dokumenten gerettet werden.
Nebenbei beschaffte er auf seinen Fahrten Informationen für den Widerstand: Was waren mögliche Fluchtrouten? Wo befanden sich Kontrollposten?
Trotz seiner Bekanntheit waren die Touren gefährlich: Auf einer Fahrt wurde er von einer Gruppe Soldaten angehalten. Sie forderten Bartali auf, sein Rad in seine Einzelteile zu zerlegen.
Minutenlang erklärte er den Soldaten, wie schwierig es sei, das Rennrad danach wieder optimal für ihn einzustellen. Er hatte Glück und durfte weiterfahren.
Um sie nicht zu gefährden, erzählte Gino seiner Frau Adriana von alldem nur das Nötigste. Auch als sich eine Familie im Keller der Bartalis versteckte, verriet er ihr nicht, dass es sich bei der Familie Goldenberg um Juden handelte.
Die Goldenbergs hielten sich bis zum Ende des Kriegs im Keller versteckt und überlebten.
Nach dem Krieg setzte Bartali seine Laufbahn als Rennradprofi erfolgreich fort: 1946 konnte er den Giro d’Italia zum dritten Mal, 1948 die Tour de France zum zweiten Mal gewinnen. Nach einem schweren Sturz musste er seine Karriere 1953 mit 39 Jahren beenden.
Der italienische Sänger Paolo Conte widmete ihm 1979 das Lied “Bartali”. In diesem Video hört man das Lied und bekommt zudem Aufnahmen von Bartali auf dem Rad zu sehen.
Zeitlebens schwieg Bartali über seine Taten während des Zweiten Weltkriegs. Als der Film “Der Assisi-Untergrund” seine Beteiligung an der Rettung von Juden Mitte der 80er Jahre erwähnte, wollte er den Sender gar verklagen.
Erst nach seinem Tod wurde seine Unterstützung des Widerstands öffentlich bekannt. Als gläubiger Christ hatte er aus Überzeugung gehandelt.
Am 5. Mai 2000 starb Gino Bartali, der großen Wert darauf legte, nie als Held wahrgenommen zu werden:
“Ich bin nur ein Radfahrer.”
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Der stille Held Gino Bartali, Der Tagesspiegel
2. Gino Bartali: The cyclist who saved Jews in wartime Italy, BBC
3. Gino Bartali war nicht nur Rad-Champion, er rettete viele Leben, NZZ
Zeitsprung, #34
Lieber Leo,
herzlichen Dank für Ihre heutige
Reportage über diesen mutigen Mann. Durch Ihren Zeitsprung erfährt man, wie viel Mitmenschlichkeit es in dieser schwierigen Zeit gab.
Herzliche Grüße
Karla
Endlich kenne ich die Geschichte des Liedes von Paolo Conte. Eine großartige Geschichte!