Fritz Kolbe entwendete heimlich tausende geheime Dokumente aus dem Auswärtigen Amt, um sie den Alliierten zukommen zu lassen. Dafür setzte der Nazi-Gegner aus Überzeugung sein Leben aufs Spiel. Er überlebte, doch eine angemessene Würdigung seiner Leistung blieb ihm zu Lebzeiten verwehrt.
August, 1943: Der deutsche Diplomat Fritz Kolbe reist von Berlin nach Bern. Im Gepäck hat er etliche geheime Dokumente, die er aus dem Auswärtigen Amt entwendet hat. Er will sie den Alliierten zukommen lassen.
Es entsteht eine jahrelange Zusammenarbeit zwischen den Amerikanern und dem deutschen Idealisten, der als einer der besten Agenten aller Zeiten in die Geschichte eingehen sollte. Jahrzehntelang gerieten seine Leistungen in Vergessenheit.
Fritz Kolbe wurde am 25. September 1900 in Berlin geboren. Nach dem Abschluss der Realschule arbeitete er bei der Reichsbahn. Er holte das Abitur nach, studierte Volkswirtschaft und begann 1925, im Auswärtigen Amt zu arbeiten. Er wurde an die deutschen Botschaften in Madrid, Warschau, Lissabon und Kapstadt entsandt.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs kehrte er im November 1939 nach Berlin zurück. Dort wurde er in der Visa-Abteilung des Auswärtigen Amts eingesetzt. Kolbe war ein entschiedener Gegner der Nazis. Weil er sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, wurde ihm eine Karriere im Auswärtigen Amt verwehrt.
Dennoch wurde er für seine fleißige und akribische Arbeitsweise geschätzt — und Anfang 1941 versetzt: Fortan leitete Kolbe das Vorzimmer von Karl Ritter, dem Verbindungsmann des Auswärtigen Amts zum Oberkommando der Wehrmacht.
Er erhielt dadurch Zugang zu allen wichtigen Informationen zum Kriegsverlauf, eine entscheidende Voraussetzung für seine spätere Tätigkeit:
„Ich wurde sehr schnell einer der am besten informierten Beamten des Auswärtigen Amtes.“
Während der Krieg voranschritt, manifestierte sich seine Ablehnung gegen das NS-Regime. Um die Nazis zu beseitigen, so seine Überzeugung, musste Deutschland den Krieg so schnell wie möglich verlieren.
Dazu wollte Kolbe beitragen: Er begann, Telegramme, die bei seinem Vorgesetzten Ritter eingingen, zu sammeln, um sie den Alliierten zu übergeben.
1943 ergatterte er eines der begehrten Diplomaten-Visa, um in die Schweiz zu reisen. In Bern versuchte er zunächst, mit britischen Diplomaten in Kontakt zu treten. Die Briten lehnten ab. Sie witterten hinter Kolbe eine Falle der Gestapo.
Doch Kolbe gab nicht auf: Er wandte sich an die Amerikaner und lernte Allen Dulles, einen Mitarbeiter des “Office of Strategic Services”, der Vorgängerorganisation der CIA, kennen. Kolbe präsentierte Dulles etliche geheime Dokumente – allein 186 Seiten beim ersten Treffen.
Als Dulles Kolbe fragte, was dieser im Gegenzug erwartete, antwortete der Deutsche: Nichts. Er handele ausschließlich aus persönlicher Überzeugung.
Bis zum Kriegsende übermittelte “George Wood”, wie sein Deckname fortan lautete, mehr als 1.600 Dokumente von immensem Wert an die Alliierten:
Darunter die Information, dass die Deutschen mehrere alliierte Verschlüsselungscodes geknackt hatten, sowie Unterlagen zu geheimen Rüstungsprojekten wie einem Düsenstrahlflugzeug. Mehrfach lieferte er zudem Belege für die nationalsozialistischen Verbrechen.
Dulles leitete die Meldungen verschlüsselt nach Washington weiter. Doch dort wurde Kolbe jahrelang misstraut: Eine so regelmäßige und präzise Quelle schien zu gut, um wahr zu sein.
Trotz des enorm großen persönlichen Risikos, das er immer wieder einging, überstand Kolbe den Krieg unbeschadet.
In den USA wurde Allen Dulles nach Kriegsende für den Coup, derart viele, streng geheime Informationen aus dem Zentrum der NS-Macht entwendet zu haben, gefeiert. Später wurde er zum Direktor der CIA ernannt.
Fritz Kolbe hingegen erfuhr weitaus weniger Wertschätzung: Während er nach Kriegsende hoffte, sich in einer verantwortungsvollen Position im Auswärtigen Amt am deutschen Wiederaufbau beteiligen zu können, musste er später als Handelsvertreter für Kettensägen über die Runden kommen.
Diverse ehemalige NSDAP-Mitglieder, die auch nach 1945 im Auswärtigen Amt arbeiteten, hatten eine Anstellung Kolbes — für sie ein “Verräter” — verhindert.
Der Kontakt zu Allen Dulles blieb auch nach dem Krieg bestehen. In seinem Buch erinnert er sich später an ihn:
“Er war zweifellos einer der besten Agenten, den irgendein Geheimdienst jemals gehabt hat.”
Fritz Kolbe starb am 16. Februar 1971 in Bern. Erst 2004 wurde er posthum für seinen Einsatz durch die Bundesrepublik geehrt.
Bis bald!
Leo
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Nach einer kurzen Sommerpause geht es hier am 8. September weiter.
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. A Time to Act: The Beginning of the Fritz Kolbe Story, National Archives
2. Der Bote aus Berlin, Der Spiegel
3. Kolbe, Fritz Albert Karl, Deutsche Biographie
Wieder eine berührende Geschichte von einem Menschen, der sich in Lebensgefahr begeben hat, um seinen Werte und Überzeugungen treu zu bleiben. Ich hatte noch nie von ihm gehört - herzlichen Dank, dass Du diese Biographien dem Vergessen entreißt.
Andreas Proksch
Was für tolle Menschen es gab und gibt! Vielen Dank für diese doch auch traurige Geschichte! Die Ehrung kam , wie so oft, zu spät.