Ein Arzt, der in den Krieg zog, um seine Familie vor der Judenverfolgung zu schützen
Mit der sogenannten Machtergreifung der NSDAP und der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann die Unterdrückung, Diskriminierung und systematische Verfolgung der in Deutschland lebenden jüdischen Bevölkerung. Am 1. September 1935 wurde durch die Verabschiedung der sogenannten “Nürnberger Gesetze” zudem die gesetzliche Grundlage geschaffen, um die ca. 525.000 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden aus dem öffentlichen Leben auszuschließen.
Auch die Familie Machemer, bestehend aus dem Ehepaar Erna und Helmut und ihren drei Söhnen, litt unter dem nationalsozialistischen Rassismus. Während Helmut keine jüdischen Vorfahren hatte, erfuhr Erna im Erwachsenenalter, dass ihre Mutter Jüdin war. Schon 1932, und damit noch bevor die Nazis an die Macht kamen, sorgte dies für Spannungen zwischen den beiden und in ihrem familiären Umfeld in einem Deutschland, in dem der Antisemitismus seit Ende des 19. Jahrhundert immer stärker grassierte. Erna und Helmut beschlossen letztendlich zu heiraten und Ernas jüdische Abstammung zu verheimlichen.
Nach der Machtergreifung der NSDAP trat Helmut 1933 in die SA ein. Ob er dies trotz oder gerade wegen seiner Frau tat, ist nicht bekannt. 1934 erhielt er seine Anerkennung als Facharzt für Augenheilkunde und die Familie zog nach Stadtlohn ins Münsterland, wo Helmut eine Stelle als Augenarzt in einer Praxis bekam.
Mit der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze 1935 mussten die Machemers mit einem “Ahnenpass“ nachweisen, dass sie “arisch“ waren. Ab diesem Zeitpunkt war den Behörden Ernas jüdische Abstammung bekannt und in der Folge wurde die Familie mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch finanziell ging es Erna, Helmut und den Kindern zunehmend schlechter, weil immer weniger Patienten die Praxis, in der Helmut arbeitete, aufsuchten. Als “Halbjüdin” war es Erna untersagt, zu arbeiten.
1937 wurde Helmut als sogenannter “jüdisch versippter Arier“ aus der SA ausgeschlossen. 1939 folgte der Entzug der kassenärztlichen Zulassung, woraufhin er nur noch Privatpatienten behandeln durfte. Die inzwischen fünfköpfige Familie wurde immer stärker ausgegrenzt und sah sich der wachsenden Gefahr hilflos ausgesetzt. Nachdem sich das Paar in dieser beschwerlichen Zeit kurzzeitig getrennt, dann jedoch wieder versöhnt hatte, traf Helmut kurz nach Beginn des zweiten Weltkrieges im September 1939 aus seiner Verzweiflung heraus die schwierige Entscheidung, sich freiwillig als Arzt für den Kriegseinsatz zu melden.
Seine Hoffnung bestand dabei darin, seine Familie durch eine Ausnahmeregelung der nationalsozialistischen Gesetzgebung vor der Verfolgung schützen zu können: Die Ausnahmeregelung besagte, dass “arische” Soldaten durch besondere Tapferkeit eine Anerkennung der “Deutschblütigkeit“ für ihre Familien erkämpfen konnten. Das willkürliche Verfahren, bei dem verschiedene Instanzen durchlaufen werden mussten und Hitler am Ende persönlich eine Entscheidung traf, war für viele Familien zu dieser Zeit ein Hoffnungsschimmer. Historiker schätzen heute, dass nicht mehr als 400 solcher sogenannter “Deutschblütigkeitserklärungen“ gewährt wurden.
Zwischen 1939 und 1942 wurde Helmut in Frankreich, Rumänien, Bulgarien und der Ukraine eingesetzt. Am 14. Mai 1942 wurde er für seine Tapferkeit schließlich mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Damit war die Voraussetzung, um ein “Arisierungsgesuch“ für seine Familie zu stellen, erfüllt.
Am 18. Mai 1942, und damit nur vier Tage später, starb Helmut durch eine russische Granate, die sein Fahrzeug traf. Trotz seines Todes sollte sich der Einsatz für seine Familie auszahlen: Ein Dreivierteljahr später wurde Erna und den drei Söhnen die Bescheinigung über ihre “Deutschblütigkeit“ ausgestellt.
Für die Dokumentation “Eine Familie unterm Hakenkreuz“ stellte die Familie Machemer neun Stunden privates Film- und etliches Fotomaterial zur Verfügung. Zudem schildert Ernas und Helmuts Sohn Hans in der Dokumentation seine Erinnerungen. In dem historischen Roman “Ein Held dunkler Zeit“ erzählt Christian Hardinghaus die Geschichte der Machemers nach. Außerdem haben Hans Machemer und Christian Hardinghaus gemeinsam das Sachbuch “Wofür es lohnte, das Leben zu wagen” verfasst.
Bis bald!
Leo
Für diesen Text genutzte Quellen:
1. “Eine Familie unterm Hakenkreuz”, ARTE Dokumentation
2. “Das Eiserne Kreuz als letzter Ausweg: ARTE-Doku über den WWU-Augenarzt Helmut Machemer”, Universität Münster
3. “Die Jüdin und der Wehrmachtssoldat”, Jüdische Allgemeine