Drei Brüder, drei DDR-Fluchten
Zwischen 1975 und 1989 gelang den drei Bethke-Brüdern die Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik: Ingo floh mit einer Luftmatratze, Holger mit einer Seilbahn. Ihren dritten Bruder, Egbert, holten sie mit zwei Leichtflugzeugen aus Ost-Berlin in den Westen. Die Flucht durch die Luft gilt als eine der spektakulärsten überhaupt.
Die Brüder Ingo, Egbert und Holger Bethke wurden 1954, 1955 und 1959 in der DDR geboren. Sie wuchsen in einer sozialistischen Vorzeigefamilie auf: Ihre Eltern waren linientreue SED-Mitglieder. Sie bekleideten hohe Posten im DDR-Innenministerium, Mutter Marianne als Oberstleutnant und Vater Claus als Major.
Die drei Söhne waren dennoch wenig angetan vom Sozialismus: Nachdem der Älteste, Ingo, seinen Wehrdienst absolviert hatte, floh er im Mai 1975 in den Westen. In Mecklenburg schnitt er ein Loch in den Grenzzaun, tastete sich über das Minenfeld und schwamm auf einer Luftmatratze über die Elbe in den Westen. Seine Beweggründe erklärte er Jahre später in der ZDF-Doku “Rübergemacht!“:
„Bei mir war ein großer Teil Abenteuerlust, also Länder zu sehen, in die man nicht fahren durfte, einfach mal etwas von der Welt kennenzulernen.“
Im Mai 1983 folgte der jüngste Bruder Holger: Mit einer selbstgebauten Seilbahn gelang ihm die Flucht - auf ähnliche Weise wie der Familie Holzapfel 1965. Auch Holger sehnte sich nach einer Freiheit, die die DDR ihren Bürgern nicht gewährte:
„Ich war noch sehr jung, hatte aber auch diesen Freiheitsgedanken.(…) Die Reisemöglichkeiten waren sehr begrenzt und der Freiheitsdrang hat sich im Laufe der Zeit entwickelt.“
Nachdem zwei von drei Söhnen geflohen waren, sahen sich die Eltern im Osten Repressalien ausgesetzt: Sie galten als Verräter, wurden degradiert und verloren ihre Anstellungen im Innenministerium.
In der Folge stand der in der DDR verbliebene Egbert unter Beobachtung. Ingo und Holger dachten über verschiedene Möglichkeiten nach, ihn dennoch in den Westen zu holen. Wie seinen beiden Brüdern missfiel auch Egbert das sozialistische System:
„Der Staat hat absolute Linientreue verlangt. Du musstest möglichst in der Partei sein, um anerkannt zu sein und das war absolut nicht mein Ding. Ich bin sehr freiheitsliebend und habe mich dadurch stark eingeengt gefühlt.“
Inspiriert durch einen Zeitungsartikel, entwickelten Ingo und Holger schließlich den Plan, Egbert über die Mauer in die Freiheit zu fliegen. Sie nahmen Flugunterricht.
Anschließend kauften sie zwei offene Leichtflugzeuge: Die Flugzeuge wogen wenig und konnten unkompliziert auseinander- und wieder zusammengebaut werden. Das war wichtig, um sie unbemerkt nach West-Berlin zu transportieren. Dort herrschte ein strenges Flugverbot für Hobby-Flieger.
Zur Verwirrung der DDR-Grenztruppen klebten sie rote Sowjetsterne auf die tarnfarbenen Flügel: Sie wussten, dass die Grenzer nicht auf sowjetische Flugzeuge schießen würden. Zudem planten sie die Flucht zu filmen und verkauften die Rechte am Filmmaterial an das Magazin “Quick”.
Am frühen Morgen des 26. Mai 1989 war es nach rund zweijähriger Vorbereitungszeit so weit: Ingo und Holger montierten die Flugzeuge auf einem Sportplatz im West-Berliner Bezirk Neukölln und flogen los. In einem Gebüsch im Ost-Berliner Treptower Park versteckte sich Egbert, der von einem Freund vom Fluchtplan erfahren und ein Funkgerät erhalten hatte.
Kurz nach dem Start kontaktierten Ingo und Holger Egbert, um sicherzugehen, dass er auf sie wartete:
“Bist du da?”…“Ich bin hier.”…“Alles klar, wir sind schon unterwegs. Ist alles noch ein bisschen diesig. Wir hätten noch ein bisschen warten können. Ende.”…”Ihr werdet das schon meistern.”…”Alles klar, wir sind unterwegs, ich seh’ schon die Mauer vor mir. Ende”…”Ich werde warten. Alles klar.”
Während Holger die Situation aus der Luft beobachtete, landete Ingo. Egbert sprang aus dem Gebüsch und setzte sich in den Flieger. Das Flugzeug hob ab und die drei Brüder passierten die Grenze.
Weniger als 20 Minuten nach dem Start endete die abenteuerliche Flucht mit der Landung der drei Brüder auf der Wiese vor dem Reichstag. Nach 14 Jahren Trennung konnten sie sich wieder in die Arme schließen.
Verblüffte Polizisten entdeckten die verlassenen Fluggeräte wenig später. Von den Brüdern fehlte jede Spur – sie waren erstmal ein Bier trinken gegangen.
Einige Tage später waren Ingo und Egbert Bethke zu Gast in der Fernsehsendung “Na siehste!”, moderiert vom jungen Günther Jauch. In diesem Video von der Sendung werden Ausschnitte der Flucht gezeigt.
Bis bald!
Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. Rübergemacht!, ZDF
2. Mit dem Motordrachen über die Mauer, Der Tagesspiegel
3. Dieser Teufelsritt über die Mauer macht noch immer sprachlos, Berliner Morgenpost
Zeitsprung, #22