Vor rund 2.000 Jahren wurden die Nasca-Linien in den Boden der peruanischen Wüste gescharrt. Dass die mehr als 1.500 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Zeichen noch heute bewundert werden können, ist einer deutschen Mathematikerin zu verdanken: Maria Reiche widmete der Erforschung und der Erhaltung der Linien mehr als 40 Jahre ihres Lebens.
Juni 1955, in der peruanischen Wüste: Eine Frau hängt unter einem fliegenden Militärhelikopter. Nur einige Seile halten die 52-jährige Maria Reiche fest.
In ihren Händen hält sie eine zehn Kilogramm schwere Kamera.
Damit fotografiert sie eines der letzten großen Rätsel der Menschheitsgeschichte: Die Nasca-Linien.
Maria Reiche wurde am 15. Mai 1903 — am kommenden Donnerstag vor 122 Jahren — in Dresden geboren. Nach ihrem Schulabschluss studierte sie Mathematik, Geographie und Fremdsprachen, um Lehrerin zu werden. 1928 schloss sie ihr Studium ab.
Besorgt beobachtete sie den Aufstieg der Nationalsozialisten. Sie wollte Deutschland verlassen:
“Der Gedanke an all den Hass, der erzeugt wurde, widerte mich an. Ich wollte weg. Irgendwohin. Das war aus mit den Nazis für mich.”
Sie stieß auf ein Zeitungsinserat: Der deutsche Konsul im peruanischen Cusco suchte nach einer Lehrerin für seine Kinder. Maria bewarb sich auf die Stelle, erhielt eine Zusage und zog 1932 nach Peru.
1939 lernte sie in Lima den US-amerikanischen Geschichtsprofessor Paul Kosok kennen. Der Wissenschaftler erzählte ihr von merkwürdigen Linien, die er in der Wüste entdeckt hatte.
Die als Nasca-Linien berühmt gewordenen Bodenzeichnungen sind auf die untergegangenen indigenen Kulturen der Nasca und Paracas zurückzuführen.
Vor rund 2.000 Jahren scharrten sie die sogenannten Geoglyphen in den Boden. Dafür trugen sie die obere, dunkle Gesteinsschicht des trockenen Wüstenbodens ab. Darunter kam der hellere Untergrund zum Vorschein.
Einige dieser mehr als 1.500 rätselhaften Linien stellen riesige Figuren dar, darunter einen Affen, einen Wal, einen Kolibri und eine Spinne. Sie sind so groß, dass sie erst aus einiger Entfernung zu erkennen sind.
Maria Reiche war von den Linien fasziniert. In der Erforschung und dem Einsatz zur Erhaltung der Zeichen fand sie ihre Lebensaufgabe:
“Für viele ist es zu öde und verlassen. Für mich ist es mein Land, und ich fühle mich eins mit dem weiten Himmel, dem dunklen steinigen Boden und der weiten Ebene. Ich spüre bei der Arbeit nicht Hunger und Durst und älter werden.”
Dabei wurde sie zunächst nicht ernstgenommen und musste großes Misstrauen überwinden:
“Die Einheimischen hielten mich entweder für eine Spionin oder für völlig verrückt.”
Doch Maria ließ sich nicht beirren. 14 Stunden verbrachte sie täglich in der Wüste mit der Vermessung und der Kartierung der Nasca-Linien. Ohne Wasser und Strom lebte sie in einer spartanischen Lehmhütte.
Ihr großes Ziel: Herauszufinden, zu welchem Zweck die Geoglyphen in den Boden gescharrt worden waren. Sie vermutete, dass die Zeichen den Nasca als astronomischer Kalender dienten. Zumindest einige der dargestellten Tiere, glaubte sie, stellten Sternbilder dar.
Heutzutage geht die Wissenschaft davon aus, dass die Linien und Figuren für rituelle Zwecke angelegt wurden. Die Nasca sollen ihre Gottheiten damit um fruchtbaren Regen gebeten haben.
Dennoch war Maria Reiches Arbeit von entscheidender Bedeutung: Ihrem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass die Geoglyphen noch heute besichtigt werden können.
Bereits in den 1950er Jahren sollte das Gebiet, in dem sich die Linien befinden, im Zuge eines Bewässerungsprojekts überflutet werden. Auch einen geplanten Baumwollanbau konnte sie verhindern.
Mit wachsender Bekanntheit zogen die Linien immer mehr Touristen an — eine Gefahr, wie Reiche in einem Brief an ihre Mutter schrieb:
“Die vielen Wagenspuren auf der Pampa tun mir weh. Die Spinne ist ganz zertrampelt. Ich werde jetzt den Präsidenten dazu bringen, die Sache unter Denkmalschutz zu stellen.“
Aus eigener Tasche finanzierte sie Wächter auf Motorrädern, um Menschen daran zu hindern, die Linien zu betreten. 1978 wurde das Gebiet schließlich zu einer archäologischen Schutzzone erklärt.
Insgesamt verschrieb Maria Reiche mehr als 40 Jahre ihres Lebens der Erforschung und der Erhaltung der Nasca-Linien. In Peru erhielt sie fünf Ehrendoktortitel. 1983 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
1994 wurden die Linien zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.
Noch mit über 90 Jahren ließ sich Maria Reiche, mittlerweile erblindet und an Parkinson und Krebs erkrankt, huckepack durch die Wüste tragen.
Maria Reiche starb am 8. Juni 1998 im Alter von 95 Jahren.
Im letzten Jahr erschien der Roman “Die Wüstenfegerin”, dessen Handlung auf Maria Reiches Leben beruht.
Bis bald!
Euer Leo
Die wichtigsten für diesen Text genutzten Quellen:
1. maria-reiche.de
2. Rätselhafte Linien in Peru, Deutschlandfunk
3. Maria Reiche, FemBio
Dies ist die 81. Ausgabe von Zeitsprung. (ndhsv)
Jeden Sonntag Abend warte ich - als mittlerweile regelmäßiger "ZEITSPRUNG"-Leser - gespannt auf Ihr nächstes Thema .
Ich hatte 1984 gemeinsam mit meiner Frau sowie einem Studienfreund auf einer mehrwöchigen Peru-Tour die begeisternde Möglichkeit, die Nasca-Region zu besuchen. Unser schmales Budget gestattete uns damals leider nicht, einen Flug über die Region zu buchen; doch auch so blieb uns der Ort, das kleine örtliche Museum sowie einige Berichte und viele faszinierende Fotos von Frau Reiche ein unvergessliches Erlebnis. Diese Frau hat Großartiges geschaffen und hinterlassen, das uns auch später immer wieder veranlasste, ihre stets neuen Funde und Mitteilungen zu verfolgen. Danke, dass auch Sie, lieber Leo zur Erinnerung an eine solch engagierte Wissenschaftlerin mit beitragen !
Meine wöchentliche Geschichtsstunde dank Leo!