Der Feldwebel Anton Schmid wurde 1941 Zeuge der brutalen Judenverfolgung im von der Wehrmacht besetzten Litauen. Der Österreicher beschloss zu helfen, anstatt wegzusehen: Hunderte Juden konnte er vor den Nazis retten — und bezahlte dafür mit seinem Leben. Eine Erinnerung an einen unbekannten Soldaten, dessen Geburtstag sich in der vergangenen Woche zum 125. Mal jährte.
Litauen, Oktober 1941: Ein Ehepaar betritt das Büro des Feldwebels Anton Schmid. Anita und Hermann Adler sind Mitglieder des jüdischen Widerstands im Ghetto von Vilnius.
Auf der Suche nach einem Weg, Juden aus dem Ghetto zu befreien, suchen sie Schmid auf. Sie haben gehört, dass man dem Wehrmachtssoldaten vertrauen könne.
Anton Schmid sichert ihnen nicht nur seine Hilfe zu, sondern bietet dem Ehepaar auch an, ein leerstehendes Zimmer in seiner Wohnung zu beziehen.
In eigener Sache: In diesem Jahr soll noch mehr Zeit in dieses Projekt fließen. Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr mir drei kurze Fragen beantworten würdet:
Anton Schmid wurde am 9. Januar 1900 in Wien geboren. Er machte eine Ausbildung zum Elektrotechniker und wurde Inhaber eines Geschäfts für elektronische Geräte.
Schmid war gläubiger Katholik und wenig an Politik interessiert. Er heiratete seine Frau Stefanie. Das Paar bekam eine Tochter.
Infolge des “Anschlusses” Österreichs an das Deutsche Reich weigerte Schmid sich, einen jüdischen Angestellten zu entlassen. Zudem half er jüdischen Bekannten dabei, das Land zu verlassen.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er in die Wehrmacht eingezogen. Am 22. Juni 1941 griff Nazi-Deutschland die Sowjetunion an. Zwei Tage später wurde Litauen mit seiner Hauptstadt Vilnius besetzt.
Aufgrund seines reichen jüdischen Kulturlebens wurde Vilnius als das “Jerusalem des Nordens“ bekannt. Mit der deutschen Besatzung endete das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergrunds jäh.
Die Nazis begannen, die Juden brutal zu verfolgen: Sie errichteten ein Ghetto, in dem sie die Menschen zusammenpferchten. Sie wurden entrechtet, gedemütigt und ermordet. Nur diejenigen, die mit einem Arbeitsschein nachweisen konnten, dass ihre Arbeit “wichtig” war, waren vorübergehend sicher.
Mehr als die Hälfte der einst 60.000 Juden in Vilnius überlebte die ersten Monate der Besatzung nicht.
Anton Schmid wurde mit seiner Einheit im September 1941 in Vilnius stationiert. Er war entsetzt von der grausamen Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung.
Er übernahm die Leitung einer Stelle für versprengte Wehrmachtssoldaten, die ihre Einheiten verloren hatten. Angeschlossen an die Sammelstelle waren mehrere Werkstätten, in denen Juden Zwangsarbeit für die Wehrmacht verrichten mussten.
Schmid beschloss zu handeln, als ihn die aus dem Ghetto geflohene Luisa Ematisaite um Hilfe anflehte: Er brachte die Frau in seiner Wohnung unter, bis er ihr mit der Unterstützung eines Pfarrers “arische” Papiere besorgen konnte. Anschließend stellte Schmid sie als seine Sekretärin ein.
Auch dem Deutsch sprechenden Polen Max Salinger half er: Schmid gab ihm die Identität eines gefallenen deutschen Soldaten. Auch er arbeitete fortan in der Sammelstelle.
Insgesamt stellte Schmid im Winter 1941/1942 rund 150 Juden in den Werkstätten der Sammelstelle ein — deutlich mehr als von der Wehrmacht vorgesehen.
Im Oktober 1941 kam es zur Begegnung zwischen dem Ehepaar Adler und Anton Schmid. Während die Adlers bei Schmid unterkommen konnten, brach dieser zu langen Rettungsfahrten auf:
Mit einem Lkw und gefälschten Marschbefehlen transportierte er mehrfach Juden von Vilnius nach Bialystok, Lida und Grodno. Die dortigen Ghettos galten im Unterschied zu Vilnius als sicher.
Bei einer Rettungsaktion im Januar 1942 wurde Anton Schmid verhaftet. Er war denunziert worden. Das Ehepaar Adler wurde rechtzeitig gewarnt. Sie überlebten die Besatzung und den Krieg — und sorgten später dafür, dass Schmids Geschichte nicht in Vergessenheit geriet.
Ein Kriegsgericht verurteilte Anton Schmid, der insgesamt rund 300 Menschen rettete, zum Tode. An seine Frau schrieb er nach seiner Verurteilung:
“Wenn jeder anständige Christ auch nur einen einzigen Juden zu retten versuchte, kämen unsere Parteiheinis mit ihrer ‘Lösung der Judenfrage’ in verdammte Schwierigkeiten.“
Er bat seine Familie außerdem um Vergebung für sein Handeln:
“Ich hab’ nur als Mensch gehandelt und wollte niemandem weh tun. So wie ich im Leben immer alles für andere tat, so habe ich auch mein Alles für andere geopfert.”
Anton Schmid wurde am 13. April 1942 hingerichtet.
In Deutschland ist Anton Schmid (ORF-Doku) bis heute kaum bekannt. Grund dafür laut Historiker Wolfram Wette, Autor eines Buchs über Schmid: Der Feldwebel verkörpere den einfachen Wehrmachtssoldaten, der — anders als nach dem Zweiten Weltkrieg häufig behauptet — sehr wohl etwas gegen die Judenverfolgung unternehmen konnte.
Bis bald!
Euer Leo
Nochmals der Link zur kurzen Umfrage:
Ein weiterer Wehrmachtssoldat, der sich für jüdische Verfolgte einsetzte:
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Jahrbuch 2002 - Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands
2. „Ich habe nur als Mensch gehandelt“, Wehrmedizin und Wehrpharmazie
3. Ein Retter in Wehrmachtsuniform, Deutschlandfunk Kultur
Dies ist die 66. Ausgabe von Zeitsprung.
Bin noch neue Leserin des Newsletters und ganz angetan. Danke!
Dank Ihres Zeitsprunges, lieber Leo haben wir wieder einen jungen Helden kennengelernt, der seinen Einsatz mit dem Leben bezahlt hat. Gut, dass Sie daran erinnern.