1896 drehte Alice Guy den ersten Spielfilm der Geschichte. Sie legte damit den Grundstein für eine Karriere als Regisseurin und ebnete den Weg für bedeutende Entwicklungen in der Filmindustrie. Jahrelang kämpfte sie vergeblich um die Anerkennung ihrer Arbeit.
Ein junges Ehepaar läuft über ein Feld, auf dem Kohlköpfe wachsen. Der Mann lehnt sich zu seiner Frau herüber. Er fragt sie, ob sie sich ein Kind wünscht. Sie nickt.
Kurz darauf rennt die Frau los und hebt ein lebendiges Baby aus einem Kohlkopf. Glücklich läuft sie zurück zu ihrem Mann und die drei ziehen davon.
Diese einminütige, fiktive Geschichte mit dem Namen “Die Kohlfee” gilt als der erste Spielfilm überhaupt. Er ist einem in Frankreich bekannten Motiv nachempfunden, wonach nicht Störche die Kinder bringen, sondern die Kinder in Kohlköpfen wachsen.
Regie führte die 23-jährige Französin Alice Guy. Es ist der Beginn einer märchenhaften Karriere als Regisseurin und Filmproduzentin.
Alice Guy wurde am 1. Juli 1873 nahe Paris geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in der Schweiz und in Chile, wo ihre Familie zeitweise lebte. Später besuchte sie ein französisches Internat.
1894 begann Alice, als Assistentin von Léon Gaumont bei einem Fotografieunternehmen zu arbeiten.
Nachdem das Unternehmen pleite ging, gründete Gaumont seine eigene Firma, L. Gaumont et companie — die älteste, heute noch tätige Filmproduktionsfirma der Welt.
Doch es sollte dauern, bis der erste Film entstand. Zunächst konzentrierte Gaumont sich auf den Handel mit Filmkameras. Unterstützt wurde er von Alice Guy, die er erneut als Assistentin einstellte.
Doch Alice träumte davon, mehr als nur Gaumonts Sekretärin zu sein: Inspiriert von der Vorführung des Kinematographen, einem Gerät, mit dem sich Filme aufnehmen und an die Wand projizieren ließen, entwickelte sie den Wunsch, eigene Filme zu drehen.
Zu einer Zeit, zu der Filme ausschließlich der Dokumentation von Ereignissen dienten, machte Alice Gaumont einen Vorschlag: Um Interessenten von der Qualität der Kameras zu überzeugen, wollte sie kurze, fiktionale Filme drehen. Gaumont gefiel die Idee, er stimmte zu.
1896 drehte Alice Guy “Die Kohlfee”, den ersten Spielfilm der Geschichte. Die erste Version des Films gilt bis heute als verschollen. Die 1900 entstandene, zweite Version des Films ist erhalten.
Für Alice Guy markierte der Film den Beginn einer 25 Jahre andauernden Karriere als Regisseurin.
Sie übernahm die Leitung der Spielfilmproduktion bei Gaumont und leistete wegweisende Pionierarbeit:
Lange bevor es echte Tonfilme gab, kombinierte sie Film- und Tonaufnahmen, um vertonte Filme zu produzieren. Sie experimentierte zudem mit Doppelbelichtungen und kolorierte Schwarz-Weiß-Filme.
1907 heiratete Alice den Kameramann Herbert Blaché. Fortan führte sie den Doppelnamen Guy-Blaché. Sie gingen in die USA, wo sie in New York ihre eigene Produktionsfirma, “Solax Studios”, gründeten.
Schnell erzielte Solax große Erfolge: Das erste von einer Frau geleitete Filmstudio produzierte mehrere hundert Filme und avancierte zum größten Studio der USA — Jahre bevor Hollywood das Zentrum der Filmindustrie wurde.
Wiederkehrende Themen in Guy-Blachés Filmen waren die gesellschaftliche Stellung der Frau, Antisemitismus und Immigration.
Doch der Erste Weltkrieg, immer kostspieligere Produktionen sowie die zunehmende Verlagerung der Filmindustrie in den Westen erschwerten die Bedingungen.
Solax geriet unter wirtschaftlichen Druck und musste den Betrieb schließlich einstellen. Das Paar ließen sich scheiden. Während Blaché nach Hollywood ging, kehrte Alice Guy-Blaché mit den beiden gemeinsamen Kindern Anfang der 1920er Jahre nach Frankreich zurück.
Dort versuchte sie, Anschluss an die Filmindustrie zu finden, schaffte dies jedoch nicht mehr. Schlimmer noch: Viele Filme, bei denen sie Regie geführt hatte, wurden fälschlicherweise männlichen Kollegen zugeschrieben. Sie kämpfte dagegen an, in Vergessenheit zu geraten.
Einige ihrer Filme sind hier zu sehen. Ein Großteil der rund 1.000 Filme, an denen Alice Guy-Blaché beteiligt war, gelten jedoch noch heute als verschollen.
Alice Guy-Blaché starb am 24. März 1968 im Alter von 94 Jahren.
Obwohl sie lange vergeblich um die Anerkennung ihrer Leistungen kämpfte, hatte ihre Arbeit maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Filmindustrie, wie ein Zitat von Alfred Hitchcock belegt:
“Ich war begeistert von den Filmen der frühen französischen Regisseurin Alice Guy.”
Die Doku “Be Natural” beleuchtet das Leben von Alice Guy-Blaché.
Bis bald!
Euer Leo
Die wichtigsten für diesen Text verwendeten Quellen:
1. Diese Frau drehte den ersten Spielfilm der Geschichte, SRF
2. Kleine Geschichte von Alice Guy, der ersten Filmemacherin der Welt, Spektrum
3. Overlooked No More: Alice Guy Blaché, the World’s First Female Filmmaker, New York Times
Dies ist die 59. Ausgabe von Zeitsprung.
Danke Leo für diese interessante Geschichte. Toll, was Frauen so alles geschafft haben und mit welcher Zähigkeit sie das Leben
meisterten.
Wieder einmal etwas gelernt. Danke, Leo.